Blutsterne - Teile 1 + 2
testete man es zuweilen an zum Tode verurteilten Verbrechern. Dieses Staatsgeheimnis wurde bis heute bewahrt und von Zar zu Zar weitergegeben. Zuletzt hat man den Rest des verbliebenen Blutes in sieben gläsernen Ampullen versiegelt. Fünf wurden scheinbar schon gestohlen. Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen.“
„Mama, was verlangst du von mir?“
„Wenn ich dir diese gebe, dann ist alles verloren und wir werden sterben. Zögere in diesem Moment nicht. Vertrau mir! Ich will, dass du lebst. Nimm Rache, dein Vater ist zu schwach dazu! Du sollst die letzte Zarin sein!“
Mama war wohl verrückt geworden. Ich zitterte.
„Was wird Gott dazu sagen?“
„Der?“ Mama lachte blasphemisch. „Er wird es schon verstehen! Der Vampir war doch auch ein Teil seiner Welt!“
Diese neuartige Auslegung unseres Glaubens aus dem Mund meiner Mutter war zutiefst ungewöhnlich. Sie legte ihren Finger auf den Mund – als Zeichen, dass ich schweigen sollte. Die zwei kleinen Gefäße steckte Mama in eine eigens mitgebrachte kleine Tasche. Dann öffnete die Zarin von Russland die Tür.
„Wenn ihr irgendjemanden erzählt, dass ich hier war, sterbt ihr!“, ermahnte sie die verängstigten Wächter. Beide hatten mit ihrem Tod gerechnet.
Wir gingen von den Kosaken eskortiert zurück.
Der Abend des 16. Juli 1918
Seit April wohnten wir im Haus des Militäringenieurs Ipatjew in Jekaterinburg. Die Bolschewiken hatten es extra beschlagnahmt, um uns hier unterzubringen. Die Villa war geräumig, weiß, von klassizistischem Stil und befand sich am Rande der Stadt. Ihre Schönheit wurde jedoch durch einen riesigen Bretterzaun und drei Maschinengewehre auf dem Dach verschandelt. Die Fenster hatten die Rotgardisten zudem mit weißer Farbe getüncht, damit niemand die Gefangenen sah.
Sie war somit zu unserem Gefängnis umgestaltet worden. Da sowohl dreißig Bewacher und auch die Dienstboten darin ebenfalls untergebracht waren, standen meiner Familie nur sehr wenige Zimmer zur Verfügung. Das ließ alle Mitglieder noch enger zusammenrücken. Wir waren eine kleine Insel inmitten eines feindlichen Meeres.
Eine Einheit Rotgardisten hatte uns von Tobolsk aus hierher gebracht, nachdem die aufständischen Kosaken die Roten aus Sibirien zu vertreiben drohten. Die aufkeimende Hoffnung auf Befreiung zerschlug sich so. Seit 78 Tagen lebten wir nun hier. Jeden Einzelnen davon hatte ich gezählt.
Rasputins Voraussagen waren also richtig gewesen. Seit seinem Tod hatte sich unsere Lebe nssituation kontinuierlich verschlechtert. Wir Romanows waren Gefangene im eigenen Land geworden und Papa hatte abgedankt. Fast alle Verwandten waren ebenfalls inhaftiert oder sogar ermordet worden. Russland hatte unter den Bolschewiki den Krieg verloren und einen erniedrigenden Friedensvertrag mit den Deutschen geschlossen, der diesen große Teile Russlands und die gesamte Ukraine überließ.
Lenin und seinen roten Kumpanen hatte der Krieg aber viel Geld eingebracht. Die Deutschen bezahlten ihn und er fes tigte mit dem deutschen Geld seine eigene Macht in Zentralrussland. Er war diesen ohnehin dafür dankbar, dass sie ihn 1917 über Finnland nach Russland eingeschleust hatten. Nur so hatte er zum Führer der proletarischen Revolution aufsteigen können.
Papa musste, obwohl er gar nicht mehr Zar war, den Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit unterzeichnen. Mama meinte, dass sich der deutsche Kaiser, unser Großonkel, dadurch nur versichern wollte, dass wir noch lebten. Unser Leben war eine der deutschen Bedingungen für diesen schandvollen Vertrag gewesen. Das hatte uns bisher gerettet.
Durch eine geheime Nachricht des kaiserlichen Botschafters, des Grafen von Mirbach-Harff, erhielten wir vor einiger Zeit die Mitteilung, dass der deutsche Kaiser bereit war, wirklich alles für unsere Befreiung zu tun und ein Sonderkommando beauftragen wollte. Leider weigerte Papa sich, diese Hilfe zu akzeptieren. Wilhelm der II. tat es ohnehin wohl mehr für Mama als für seinen Cousin. Man munkelte, dass der Kaiser noch immer unsere Mutter liebte. Auch er hatte einst um die Hand meiner Mutter angehalten. Diese hatte sich jedoch für unseren Vater entschieden, obwohl alle Seiten dagegen waren.
Zu groß war bis heute Papas Enttäuschung über den Verrat des deutschen Kaisers, weil dieser ihm 1914 den Krieg erklärte. Er wollte noch immer lieber sterben, als sich von ihm helfen zu lassen.
Mamas eindringliche Bitten, hier an die Kinder zu denken, nutzten nichts. Sein Stolz stand
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