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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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legte ihren Sohn in die Wiege und setzte sich mit Stift und Papier an den Küchentisch.
    Sie wusste nicht, was sie schreiben sollte, und beschrieb daher hauptsächlich Max.
    Sie stellte sich vor, wie Ebert und Evelyn in North Carolina diesen Brief über ihren Enkelsohn lesen würden. Sie säßen in der Abendsonne auf der großen Veranda, die ihr weißes Farmhaus umgab. Die Luft röche leicht nach frisch gedüngten Weiden.
    Sie konnte die Pfeife ihres Vaters riechen und hatte den Blick von der Veranda vor Augen – endlose Weiden, Scheunen, der sanfte blaugrüne Horizont mit den üppig belaubten Bäumen, die nicht einen einzigen Yukon-Winter überstehen würden. Einen Moment lang hatte Violet Heimweh nach diesen östlichen Wäldern und ihren Eltern.
    Ich vermisse eure Bäume, schrieb sie.
     
    Andrew bereitete das Abendessen zu, während sie Max in den Schlaf wiegte. In der Hütte begann es nach Tomaten, Knoblauch und kochenden Nudeln zu duften.
    Sie aßen auf der hinteren Veranda. Ihre von der Sonne gebräunten Gesichter wurden von einer einzigen Kerze erleuchtet, deren Flamme sich an diesem windstillen Abend kaum regte.
    Obwohl es bereits nach zehn war, war es noch recht hell am Himmel.
    So weit im Norden wird es im Spätsommer erst nach Mitternacht richtig dunkel. Vor einiger Zeit hatte es geregnet, so lag der Geruch nasser Kiefern beißend und klar in der Luft. Um die Veranda standen Tannen, deren niedrigste Äste bis in ihre Reichweite kamen.
    Andrew legte seine Gabel nieder und trank einen Schluck vom ausgezeichneten chilenischen Wein.
    »Ich habe den Epilog beendet, während du unter der Dusche warst.«
    Violet starrte auf ihren Teller.
    »Vi?«
    Als sie ihn schließlich über den wackeligen Kartentisch hinweg ansah, bemerkte er, dass ihre Hände zitterten.
     
    Andrew hatte die Galerie in ein Schlafzimmer umgebaut und dort, wo sein Schreibtisch gestanden hatte, eine Matratze eingebaut.
    Es war sehr spät und dunkel und still.
    Das Mondlicht schien durchs Fenster und ließ die Dielen bleich erscheinen.
    Violet hatte sich beruhigt.
    Sie lagen wach nebeneinander. Max lag zwischen ihnen und schnarchte leise.
    »Ist es schwer für dich?«, flüsterte Violet.
    »Was?«
    »Du weißt schon. Hier mit mir zu liegen… ohne etwas zu tun.«
    Andrew lächelte.
    »Schlaf schön.«
    Er hätte beinah gesagt: Schlaf schön, mein Engel.
    Ihr Kopf lag in seiner Armbeuge.
    Sie rieb ihre Wange an seiner.
    »Was machst du?«
    »Max hatte nie einen Bart. Ich mag deinen. Ich mag, wie er riecht.«
    »Willst du mich die ganze Nacht wach halten?«
    »Vielleicht.«
     
    14.10.2003
    Haines Junction, Yukon
    Habe die letzte Nacht im Raven Hotel verbracht. Teuer. Werde mich heute nach etwas Preiswerterem umsehen. Frühstück in Bill’s Diner. Kaffee. Zwei köstliche Bärenklauen. $ 11.56. AT ist wieder mit dem alten CJ-5 in die Stadt gekommen (er ging in die Bücherei). Ich bin raus zu seiner Hütte gefahren. 5,9 Meilen die Borealis Road entlang. Einspurig. Holperig. Wunderbares Wetter. Kalt. Habe seine Zufahrt gesehen, bin aber nicht abgebogen. Zu nervös (sei nicht so ein Feigling). Denke, ich werde heute Abend noch einmal zu Fuß dorthin gehen und durch die Wälder in der Deckung des –
     
    Die Lautsprecheransage unterbrach die Lektüre: »Bitte, machen Sie sich bereit für den Flug 6346 ohne Zwischenlandung nach Whitehorse, Yukon. Wir beginnen nun mit dem Einsteigen.«
    Das fleckige lila Notizheft wurde zugeklappt.
    Auf dem Einband stand mit schwarzem Filzstift ordentlich »H. BOONE« geschrieben.
    Der Passagier von Sitz 14C ließ das Notizheft in eine Ledertasche gleiten, warf sie sich über die Schulter und schlenderte zum Gate.
    Seine Haare sind jetzt blond und kurz, aber wenn man genau hinsieht, erkennt man den schwarzen Haaransatz.

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