Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
niedergekommen. Dieses paßte keineswegs in die Pläne des leichtsinnigen Italieners, und da die Dame außer ihrer Schönheit keine Reichtümer besaß, verließ er, ohne sich seiner Schwüre mehr zu erinnern, sie und die Stadt Paris in aller Stille und begab sich als ein lediger Mann nach Florenz zurück, wie es stets die Art solcher Leute war, sich um eine leere Flasche und um eine schwanger gewordene Geliebte mit keinem Blicke mehr zu bekümmern.
Das Knäblein aber, das die arme Frau im Jahre 1313 gebar, war Giovanni Boccaccio.
Von Schmerz und Sorge entkräftet, lebte die unglückliche Dame nur noch wenige Jahre, und nach ihrem Tode ward Giovanni in zartem Knabenalter nach Florenz zu seinem Vater gebracht. Dort besuchte er eine gute Schule, erwarb sich einige Kenntnis der lateinischen Sprache und wäre am liebsten bei den Büchern sitzen geblieben, um sich ganz den Studien hinzugeben. Aber kaum war er etwa dreizehn Jahr alt, so nahm
Neapel zur Zeit Boccaccios
ihn der Vater zu sich, lehrte ihn die notwendigsten Handgriffe und Rechenkünste der Handelsleute und übergab ihn sodann einem Geldwechsler, damit er bei diesem die Kaufmannschaft erlernen sollte. Sechs Jahre blieb er denn bei diesem Gewerbe, ohne jedoch etwas Erkleckliches zu lernen oder gar den Handel lieb zu gewinnen. Vielmehr lief er überall hin, wo er Verse singen oder vortragen hören konnte, und lernte viele Stücke aus den großen Gedichten des Dante und des Vergil auswendig, welche ihn höchlich begeisterten und mit einer unauslöschlichen Liebe zur Poesie erfüllten.
Am Ende dieser sechs Jahre sah jedermann deutlich, daß Giovanni in die Handelschaft paßte wie der Fisch aufs Trockene. Dies sah auch der Vater wohl ein und beschloß daher, seinen Sohn den Studien an Universitäten zu widmen, und zwar wählte er für ihn das Studium des kanonischen Rechts, indem es ihm als einem klugen Manne schien, es sei mit diesem Handwerk nicht wenig Geld zu verdienen, wenn einer es ordentlich verstehe. Weil aber Giovanni um diese Zeit sich eben in Neapel befand, schien es dem Vater am wohlfeilsten, daß er dort seine Studien abmache, ohne daß er geahnt hätte, welcherlei Kenntnisse derselbe sich dort erwerben würde.
Es war nämlich Neapel zu jener Zeit gewiß die allerüppigste Stadt in ganz Italien, zumal da gerade unter dem Könige Robert die Einwohner eines längeren Friedens genossen, woran sie nur schlecht gewöhnt waren.
Jugendbildnis Boccaccios
Von dem Leben bei Hofe brauche ich wenig zu sagen, indem jedermann die Namen der sechs Neffen des Königs, sowie seiner Schwägerin, der sogenannten Kaiserin von Konstantinopel, und seiner Enkeltochter Johanna kennt, welche sämtlich durch alle Welt einen bösen Leumund hatten. Vorab jene Johanna führte ein überaus freches und tadelnswertes Leben, hatte ihres Gatten Bruder zum Buhlen und nahm ihn später, nachdem sie sich des andern durch Mord entledigt hatte, ohne päpstlichen Dispens zum Gemahl. Auch sonst war in der Stadt, zumal unter den Edelleuten, ein ver gnügliches Schlemmen, auch Hader und kleinere Mordtaten im Schwang, und bei Hofe war längst zwischen echten Kindern und Bastarden weder von den Vätern, noch von anderen mehr zu unterscheiden. An diesem Hofe, wo er noch zu Lebzeiten des Königs von seinem jungen Landsmanne Niccolo Acciaiuoli eingeführt wurde, ging nun das Studentlein ab und zu. Daselbst war mit Festen, Mahlzeiten, Ball, Tanz und Maskenscherzen ein verschwenderisches Leben, und gewiß hat Boccaccio niemals irgendeine üppige oder lüsterne Geschichte erzählt, welche er nicht in Neapel viel toller und gründlicher selbst mitangesehen hatte. Daß er auf dem Gebiete der gelehrten Studien (das Latein ausgenommen) etwas Erhebliches geleistet oder den Grad eines Doctoris iuris canonici erlangt hätte, wird nirgends berichtet. Statt dessen legte er damals den Grund zu seiner tiefen Kenntnis der menschlichen Leidenschaften, da er von hervorragenden Beispielen der Verschwendung und Habgier, des Aberglaubens, der Wollust, der Gefräßigkeit, Mordgier, Verschlagenheit und Eitelkeit rings umgeben war. Am gründlichsten jedoch unterzog er sich dem Studium der Liebe, deren Leiden und Freuden er bis zur Neige an sich selber erfuhr.
Eines Tages nämlich, um die Zeit der Ostern, vermutlich im Jahre 1334, erblickte er in einer Kirche zu Neapel die Dame, welche sein Herz zu Lust und Pein von da an jahrelang gefangen hielt. Diese war Donna Maria, die natürliche
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