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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Geschichten durch die Finger geschlüpft war, und jenes Dekameron hatte statt hundert nur neunundneunzig Novellen. Außerdem ist das Buch häufge Male »für die Jugend« ediert worden und wird es in Italien »per giovani modesti« heute noch.
    Besonders schlimm erging es ihm mehr als hundert Jahre nach seines Verfassers Tod, zur Zeit des wohlbekannten oder übelbekannten Savonarola. Dieser wütende und vermutlich geisteskranke Mönch, welcher nach Kräften dazu beitrug, Florenz und Italien dem Untergang näher zu bringen, hat außer einer Menge von anderen schönen Dingen auch sehr viele Exemplare des Dekameron öffentlich verbrennen lassen. Wo jedoch eine kräftige Quelle aus der Erde gebrochen ist, hat das Verbauen und das Exorzieren niemals viel geholfen, und es ist schwerer, etwas geistig Lebendiges zu ertöten, als etwas Totes wieder zum Leben zu bringen. So hat denn auch Boccaccio manche Zeitgenossen und Nachfolger gehabt, deren erloschenen Ruhm die Gelehrten mit unsäglichen Mühen bis auf heute herüber geschleppt haben, indessen er selber inmitten aller Keulenschläge am Leben blieb und heute noch den gleichen Glanz und Zauber hat wie seinerzeit. Indem ich dieses schreibe, träumt mir von einem Zypressenbaum am Hügelabhang zwischen Vincigliata und Settignano, wo ich vor Zeiten zum erstenmal, im Grase liegend, das köstliche Buch genoß. Es lief ein lauer Wind talab, mit Blütenduft von Limonen und Mandeln beladen, es lag ein süßes Licht über Florenz und allen Bergen, und es sang aus einem fernen Garten eine welsche Laute herüber, allein ich sah es nicht und hörte es nicht; ein süßerer Duft und ein viel köstlicherer Klang stieg mir aus den gelben Blättern des alten Buches zu Häupten.

    D as Buch Dekameron ist auf eine solche Art einge
          richtet, daß seine hundert Novellen an zehn Tagen von zehn jungen und edlen Leuten erzählt werden, und darunter sind sieben Mädchen und drei Jünglinge. Auf diese Weise kommt daher jede Novelle nicht aus unbestimmter Ferne, sondern frisch aus dem Munde eines jungen Erzählenden zu uns her geklungen. Und überdies ist also diese Zahl von hundert Geschichten und Schwanken von einer lebendigen Erzählung umfochten, hat auch jeder von den zehn Tagen seine besondere Art und Färbung.
       Die Erfndung des Boccaccio ist diese: Zur Zeit des schwarzen Todes, welcher die Stadt Florenz im Jahre
    1348 heimsuchte, waren in dieser Stadt alle früheren Ordnungen und Gewohnheiten vollkommen aufgelöst. Es lagen in den Häusern, auf den Treppen und vor den Türen, ja in allen Gassen da und dort teils Tote, teils Todkranke umher, und die Gefahr der Ansteckung war so groß, daß Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern einander fohen und die Erkrankten einsam und ohne Pfege dahinsterben ließen, welche Zustände Herr Boccaccio im Beginn seines Buches mit der größten Genauigkeit und Sichtbarkeit uns schildert. Bei solcher grausamen Verwirrung und Schrecknis trafen sich eines Morgens sieben junge Damen in der herrlichen Kirche Santa Maria Novella, welche zwar damals noch der berühmten Wandmalereien des Ghirlandajo entbehrte, aber auch schon zu jener Zeit eine der schönsten Kirchen von Florenz gewesen ist.
       Diese Sieben, da sie sich unter gemeldeten Umständen nicht allein in beständiger Todesgefahr, sondern auch jeglicher Freude und Lustbarkeit durchaus beraubt sahen, beschlossen auf den Rat der Pampinea, welche die Älteste von ihnen war, sich in Gesellschaft auf das Land zu begeben und dort einige Zeit in Ruhe und heiteren Gesprächen zu verweilen, wobei sie die gegenwärtige Trauer und Bangnis ein wenig vergessen könnten. Und siehe, während sie noch über einige etwa passende Begleiter und über den Ort ihres Aufenthaltes beratschlagten, traten drei edle Jünglinge in dieselbe Kirche, von welchen jeder in eine unter diesen Damen verliebt war. Ihnen eröffnete Pampinea, welche mit einem derselben verwandt war, ihr Vorhaben und forderte sie auf, als Führer und Kavaliere mit ihnen zu kommen; und sogleich waren die jungen Herren, wie man sich denken kann, von Herzen gern dazu bereit. Auch diejenigen von den Mädchen, welche anfänglich einige Scheu gehabt hatten, freuten sich nun darüber, denn es war sogleich vereinbart worden, daß Sitte und Ehrbarkeit in jeder Weise gewahrt blieben.
       Also begab sich diese hübsche und fröhliche Gesellschaft edler junger Leute aus der Stadt und hatte die Wahl des Aufenthaltes zwischen gar vielen Landsitzen, denn

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