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0711 - Die Nacht der Wölfe

0711 - Die Nacht der Wölfe

Titel: 0711 - Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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»Das Essen ist fertig!«
    Miguel Viadas legte den Hammer beiseite und deckte die Stacheldrahtrolle sorgfältig mit einer Plastikplane ab. Er hatte sich so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkt hatte, wie dunkel es bereits geworden war.
    Neben ihm streckte sich Frank Meyers und zog die groben Arbeitshandschuhe aus.
    »Wir lassen die Chefin besser nicht warten«, sagte er. »Die Zäune haben Zeit bis morgen, das Abendessen aber nicht.«
    Miguel nickte und zeigte grinsend auf das Loch im Zaun. Dann machte er eine scheuchende Handbewegung, wackelte mit dem Kopf und rieb sich über den Bauch.
    Frank lachte. »Genau. Der ganze Viehbestand könnte über Nacht abhauen, Hauptsache, das Essen wird nicht kalt.«
    Die Chefin, wie Miguel und er Linda McDermond nannten, war eine hervorragende Köchin, aber leider auch eine sehr besessene. Einen Großteil des Tages verbrachte sie entweder in der Küche oder in ihrem Arbeitszimmer, wo sie das Internet nach neuen Rezepten durchsuchte. Trotz der schwierigen Kommunikation war es ihr sogar gelungen, von Miguel ein paar Familienrezepte der Viadas zu erfahren und er musste zugeben, dass ihre Maissuppe besser als die seiner Mutter schmeckte.
    Miguel wusch sich sorgfältig Gesicht und Hände, bevor das große Farmhaus betrat. Die McDermonds waren eine der ältesten europastämmigen Familien in diesem Teil New Mexicos und hatten sich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hier niedergelassen. Seit dieser Zeit war das Haupthaus immer wieder ausgebaut und verändert worden. Mittlerweile bestand es aus drei Stockwerken mit mehr als zwanzig Zimmern und einem gemauerten Keller.
    Er hängte seinen alten verbeulten Hut an die Garderobe und betrat die Küche. Frank saß bereits an dem langen Holztisch, ebenso wie die beiden Söhne der Chefin, Richard und Martin. Mit ihren runden Gesichtern, der sommersprossigen Haut und den roten Haaren waren sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Richard kümmerte sich seit dem Tod seines Vaters um die Verwaltung der Ranch, Martin studierte Landwirtschaft an der Universität von Albuquerque und kam nur während der Ferien nach Hause.
    Linda McDermond drehte sich zu Miguel um. »Hilf mir bitte mit der Auflaufform, Mitch. Sie ist mir zu schwer.«
    Er nickte und griff nach den Topflappen. Sie nannte ihn immer Mitch, seit dem Tag, als er vor ihrer Tür mit einem Zettel in der Hand aufgetaucht war, auf dem das einzige Wort stand, das er außer seinem Namen je schreiben gelernt hatte.
    Job.
    Das war mittlerweile vierzehn Jahre her. Linda hatte ihn gegen den Willen ihres Mannes eingestellt, aus Mitleid, wie Miguel vermutete, doch das störte ihn nicht. Er leistete gute Arbeit und war schon längst Teil der Familie.
    Vorsichtig stellte er die schwere Auflaufform auf den Tisch. Sie roch nach Käse, Hackfleisch und Knoblauch.
    »Mom«, beschwerte sich Richard. »Ich habe morgen einen Banktermin. Da kann ich doch nicht nach Knoblauch stinken.«
    Linda winkte ab. »Blödsinn. Sag ihnen einfach, dass man ohne Knoblauch kein mexikanisches Gericht kochen kann. Das stimmt doch, Mitch?«
    Miguel nickte zustimmend.
    »Dann koch was Europäisches«, konterte Richard.
    Linda warf ihm einen bösen Blick zu und setzte sich. »Sei ruhig und sprich das Tischgebet.«
    Miguel senkte ebenso wie die anderen den Kopf, während Richard sich halbherzig bei Gott für seine Gaben bedankte.
    »Amen«, sagten die anderen.
    Amen, dachte Miguel.
    »Wir sind mit den Zäunen fast fertig, Ma'am«, brachte Frank das Gespräch wieder in Gang. »Das heißt, Miguel und ich werden morgen genug Zeit haben, um uns die Felsen am…«
    Es klingelte an der Haustür.
    Draußen wieherte ein Pferd.
    Miguel sah auf. Auch ohne ein Wort zu sagen, war die Frage klar auf seinem Gesicht abzulesen.
    Linda schüttelte den Kopf. »Nein, ich erwarte niemanden. Richard? Martin?«
    Ihre Söhne hoben die Schultern. Frank zog seufzend die Serviette aus seinem Hemdkragen und stand auf. »Wetten, das ist Bob Henshaw, der mal wieder Benzin schnorren will?«
    Miguel sah ihm nach, als er die Küche verließ und im Flur verschwand. Jetzt wieherten bereits mehrere Pferde in den Stallungen. Vermutlich schlich ein Coyote irgendwo über die Ranch.
    Er hörte, wie Frank die Haustür öffnete und etwas sagte. Eine zweite männliche Stimme antwortete, ohne dass Miguel die Worte verstehen konnte. Dann kamen Schritte über den Flur und Frank trat wieder ein. Hinter ihm schob sich ein enorm übergewichtiger Asiate in einem

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