Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
dennoch jede von diesen Novellen von allen anderen scharf unterschieden, und es gibt keine zwei darunter, die man so leicht miteinander verwechseln könnte. Nächstdem aber ist jeder Schatten von Gleichförmigkeit auch noch durch andere feine Künste vermieden worden, indem z. B. Dioneus, welcher der Hauptspaßvogel der Gesellschaft ist, stets mit völlig unerwarteten neuen Einfällen dazwischentritt, auch allerlei Anspielungen und Neckereien zwischen den Erzählenden vorfallen.
Dazu kommt, daß jeder von den zehn Tagen seine eigene Geschichte hat, mit allerlei kleinen Zwischenfällen, so daß wir außer den täglich erzählten zehn Geschichten auch die übrigen Beschäftigungen und Lustbarkeiten der Gesellschaft erfahren. Daneben ist der Ort, an welchem sie sich aufhält und welchen sie zwischenein auch wechselt, mit Hainen, Teichen, Bächen, Blumen, Wild und Fischen stets auf das Anmutigste und Lebhafteste geschildert, wodurch im Gemüt des Lesenden teils ein fortwährendes Behagen, teils auch eine milde, angenehme Sehnsucht nach solchen auserlesen köstlichen Gegenden erregt wird. Denn der Dichter hat dieselben zwar einigen Örtern ähnlich gebildet, welche man in der Nähe von Florenz und namentlich im Tal des Mugnone antrifft, allein dennoch hat er sie in solcher Art geschmückt und dargestellt, wie es nur ein wahrer Künstler vermag, so daß sie alle etwas Verschöntes und wahrhaft Paradiesisches an sich tragen.
So ist denn unter den zahlreichen Büchern, in welchen ein einzelner viele verstreute Erzählungen gesammelt hat, in aller Welt kein einziges, welches irgendwie an Schönheit und Kunst dem Dekameron vergleichbar wäre. Der es seinerzeit geschrieben hat, tat es zum Trost der unglücklichen Liebenden und vornehmlich zur Erfreuung der Frauen, welchen denn auch das ganze Werk in einem vortrefichen Prologe zugeeignet ist.
M an hört gar häufg sagen, das Dekameron sei ein
unanständiges und verwerfiches Buch. Und diejenigen, welche dies sagen und gerne predigen, sagen es zum Teil nach dem bloßen Hörensagen, zum Teil aber kennen sie das verwerfiche Buch sehr gut und lesen es in der Stille häufg. Was nun die Unanständigkeit betrifft, welche stets in Büchern viel heftiger als im Leben bekämpft wird, so kann und mag ich sie keineswegs leugnen. Als ich einstmals in demselben Tal des Mugnone, wo es seinen Schauplatz hat, das Dekameron in einem schönen Frühlingsmonat ganz durchlas, pfegte ich der Wärme wegen frische Limonen dazu zu speisen. Und nun hatte ich die Gewohnheit, daß ich bei jeder Novelle, die mir unanständig erschien, einen Limonenkern in meine Tasche steckte, und als ich ganz zu Ende gelesen hatte, zählte ich neununddreißig solche Kerne. Hiernach wäre denn etwas mehr als ein Dritteil des Dekameron von unanständiger Beschaffenheit.
Obwohl ich glaube, daß gerade diese neununddreißig Novellen zu den schönsten und ergötzlichsten gehören, will ich doch den Inhalt derselben nicht zu verteidigen unternehmen. Es ist eine Ordnung der Natur, daß die Menschen gleich anderen lebenden Geschöpfen ihre Art nicht (wie manche Pfanzen tun) sich durch Knollen fortsetzen, sondern in zwei Geschlechter zerfallen, woraus beiden Teilen ebensowohl viel Vergnügen als häufger Kummer entsteht. Und es ist eine andere Ordnung (diese jedoch nicht von der Natur), daß die meisten wohlgesitteten Men schen diese natürlichen Dinge zwar billigen und ihren Gesetzen folgen, aber durchaus nicht davon gesprochen wissen wollen. Und auch noch viele, welche mündlich nicht selten davon zu sprechen und zu hören pfegen, sehen es doch in gedruckten Büchern nicht gerne.
Unser Novellenbuch hat das Bestreben und die Eigenschaft, ein Spiegel des wirklichen Lebens zu sein. Wie ich für sicher glaube, hat wohl an der Hälfte aller wichtigen menschlichen Begebnisse, Leidenschaften, Schicksale, Freuden und Leiden das Verhältnis der Geschlechter großen Anteil. Wenn nun das Geschichtenbuch des Boccaccio nur zu einem Dritteil von solchen Stoffen handelt, ist es also doch immer noch um ein Erkleckliches anständiger und schamhafter als das Leben selber. Außerdem sind diese Stoffe von den Erzählern teils so zart und mit guten Nutzanwendungen vorgetragen, teils so fein und erheiternd mit Witz und Wortspiel verziert, teils auch so burlesk und drollig, daß ihnen die natürliche Gemeinheit zum guten Teil genommen ist und daß sie bei gesunden und vernünftigen Lesern gewiß keinen Schaden
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