Böses Blut: Ein Vampir-Thriller (Spider) (German Edition)
zu machen und Cloudland so schnell wie möglich zu verlassen.
Doch ich ging nicht. Ich stand weiter da wie ein unsterblicher Idiot und zermarterte mir mein träges Gehirn, was das alles bedeuten sollte. Normalerweise war mein Gehirn nicht träge. Ehrlich gesagt war mein Gehirn in der Regel scharf wie ein Rasiermesser, vor allem, wenn ich kurz vorher getrunken hatte.
Was passierte mit mir? Und wo waren alle?
Ich lauschte und hörte alsbald von irgendwoher das Geräusch eines Staubsaugers. Außerdem hörte ich jemanden sprechen. Ich drehte mich um. Ganz am Ende des Korridors sah ich eine Gruppe junger Frauen, die das Gebäude durch eine Seitentür verließen.
Wenn mich mein Orientierungssinn nicht trog, gingen sie zurück zur Wiese, wo die Dämonin aus Stein lauerte.
Mein Instinkt sagte mir, dass in Kürze ein Opfer dargebracht werden würde. Warnglocken hin oder her, ich würde nicht zulassen, dass dieser schmierige Bastard seiner Tochter etwas antat.
Und mit diesem Gedanken im Kopf stürzte ich die vier Stockwerke hinauf zu ihrem Zimmer. Oder zu ihrer Zelle. Oder was auch immer es war, wo sie gefangengehalten wurde. Die Tür war offen. Ich schaute hinein ins Zimmer. Gähnende Leere. Das Fenster stand noch immer offen. Ein leichter Windhauch plusterte die Gardine auf. Ich ging hinüber und sah hinaus.
Wie ich es geahnt hatte, versammelten sich die Jüngerinnen um die Steindämonin. Da entdeckte ich Erasmus, wie er auf der Plattform stand, neben ihm sein Tochter, Lilith.
Ich sprang aus dem Fenster.
* * *
Meine Landung war hart. Zu hart.
Irgendetwas in meinem Knie war geplatzt, und es bereitete mir Schmerzen. Was zum Teufel? Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal durch eigenes Verschulden verletzt hatte.
Ich stand auf und runzelte die Stirn. Ich wartete darauf, dass sich mein Körper von selbst heilte. Es dauerte nicht lange … auch wenn es nicht so schnell ging, wie ich es gewollt hätte. Und nicht so schnell, wie ich es gewohnt war.
Irgendetwas stimmt nicht mit mir.
Nachdem mein Knie wieder so gut wie intakt war, rannte ich die grasbewachsene Anhöhe hinauf, die zur Wiese führte. Dabei wurde ich immer schneller, bis ich praktisch über das Gras hinwegschwebte. Manchmal kann ich so schnell laufen, dass es fast so scheint, als würden meine Füße den Boden nicht mehr berühren.
Aber diesmal war es nicht so. Diesmal fühlte ich jeden dröhnenden Fußtritt.
Und, was noch erstaunlicher war, ich kam außer Atem – zumindest nach dem, was in meinem Zustand als Untoter als Atem bezeichnet werden konnte.
Am Rande der Lichtung versteckte ich mich zwischen ein paar Buchsbäumen und beobachtete, wie sich die offene Wiese mit jungen Mädchen füllte. Die meisten hatten sich hingekniet und starrten gen Himmel. Ich ging davon aus, dass der Großteil von ihnen unter Drogen stand.
Ich erspähte Erasmus mit Lilith, die auf einem Stuhl saß. Ihre Arme hingen schlaff herunter . Ihr Kopf war nach vorn gekippt, so dass ihr Kinn auf dem Brustbein ruhte.
Ich überlegte. Das Mädchen hatte nicht mehr viel Zeit. Geschweige denn ich. Ich ha tte wirklich schon viel Scheiße gesehen, aber noch nie war ich Zeuge gewesen, wie ein waschechter Dämon heraufbeschworen wurde.
Ich konnte gehen. Ich konnte mich umdrehen und weglaufen und einfach nur zusehen, dass ich hier raus kam. Ob hier wirklich ein Dämon auftauchen würde, wusste ich nicht. Welchen Plan der Dämon hatte, war mir ehrlich gesagt egal. Was auch immer auf Cloudland vorging, ging mich nichts an.
Lauf und dreh dich nicht um.
Aber ich lief nicht weg. Ich stand weiter versteckt hinter einem Baum, beobachtete, überlegte, fragte mich, was ich tun sollte. Unentschlossen. Fast schon nervös.
Und ich fühlte mich immer schwächer und schwächer.
Was zur Hölle ging hier vor?
Ich atmete tief ein, erweckte die Lungen zum Leben, die ich sonst kaum nutzte. Schon vor vielen Jahren hatte ich gemerkt, dass ich nicht atmen musste. Manchmal tat ich so, damit mir die Leute keine Fragen stellten.
Aber jetzt muss te ich atmen.
Ja, irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.
Jetzt oder nie.
Noch einmal nahm ich einen tief en Atemzug und sprintete dann nach vorn durch das hohe Gras und durch die darauf sitzenden Leute. Obwohl ich bei Weitem nicht meine Höchstgeschwindigkeit erreichte, war ich schnell wie der Wind, nur ein verschwommener Fleck für diejenigen, die dort saßen und vor sich hin glotzten.
Erasmus schien mich entdeckt zu haben.
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