Bordeuax
konnte, selbst zu kochen. Das
Al Diwan war fünf Minuten Fußweg vom Büro, freundlich und billig. Ich konnte
mir schon vorstellen, dass Ed und Catherine solche Restaurants selten
aufsuchten.
»Es gefällt mir«, sagte sie in einem
Ton, der lebhafter klang als bisher. »Niedlich hier. Wie hast du das bloß
entdeckt?«
»Es ist sozusagen unsere
Bürokantine«, sagte ich. »Andy und ich kommen manchmal hierher.«
»Wer ist Andy?«
»Andy ist meine rechte Hand im Büro.
Er ist der Finanzleiter. Ohne ihn wäre ich verloren. Ehrlich gesagt war er es,
der mich zuerst hier hergeführt hat.«
»Warum hast du ihn uns nicht mal
vorgestellt?«, fragte Catherine. Sie nahm einen Papadam und biss hinein, der
Beweis, dass sie wenig Erfahrung mit indischer Küche hatte: Der Fladen zerbrach
in zig Stücke, verstreut auf dem ganzen Tisch.
Ich musste unwillkürlich lachen.
»Ich kenne mich damit nicht aus«,
erklärte sie. »Aber sag mal, warum hast du uns Andy nicht mal vorgestellt?« Sie
redete, als wären wir alle Mitglieder einer innigen Familie, und ich hätte gesündigt,
weil ich Andy zur Begutachtung nicht nach Caerlyon gebracht hatte.
»Er ist wohl eher ein
Geschäftsfreund.« Ich kam mir widerwärtig vor, als ich das sagte: »Entweder
ist jemand ein Freund oder er ist kein Freund.«
»Dann sind wir für dich also nur
Freunde zum Spielen? Bin ich deine Freundin zum Spielen?«
In dem Moment kam der Kellner, so
dass ich diese schwierige Frage nicht beantworten musste. Ich bestellte etwas
für uns beide. »Hoffentlich schmeckt es dir auch«, sagte ich.
»Ganz bestimmt. Wirklich, es gefällt
mir hier, Wilberforce. Wilberforce - warum redet man dich eigentlich nie mit
deinem Vornamen an? Oder ist Wilberforce dein Vorname?«
»Nein, das ist mein Familienname -
das heißt, der Name meiner Eltern«, ergänzte ich.
»Sind deine Eltern nicht auch deine
Familie? Du bist voller Geheimnisse, Wilberforce. Ich bin bloß froh, dass Ed
nicht da ist. Ich wollte dich immer schon ein paar Sachen fragen, seit ich dich
kenne, aber Ed mag keine Frauen, die viele Fragen stellen.«
Ich konnte nicht eindeutig
ausmachen, ob sie das ernst meinte oder nicht. Catherine gehörte zu den
Menschen, für die Ironie eine gewohnheitsmäßige Ausdrucksweise im Umgang mit
anderen ist, und oft war schwer zu sagen, ob sie nur Spaß machte oder nicht.
»Nein, das sind meine Pflegeeltern.
Wer meine leiblichen Eltern sind, weiß ich nicht.«
Catherine starrte mich an und legte
eine Hand vor den Mund - die Parodie einer Frau, die Erstaunen vorspielt.
Vielleicht war sie auch wirklich erstaunt. Dann klatschte sie in die Hände und
sagte: »Wetten, dass Francis dein leiblicher Vater ist, Wilberforce? Wir haben
schon immer gewitzelt, dass er dich mehr oder weniger adoptiert hat. Ich kenne
Francis, seit ich drei bin. Damals hat er angefangen, seinen Weinhandel
aufzubauen, und hat Wein an meinen Vater und an Eds Vater verkauft. Eck ist
sein Patensohn. Aber du - du bist jetzt sein Liebling. Er liebt dich
abgöttisch.«
Mir war unwohl bei dem Gedanken -
als wollte sie damit andeuten, ich hätte mich als ungebetener Gast
eingeschmuggelt.
Sie musste meine Gedanken gelesen
haben, denn gleich ergänzte sie: »Nein. Du glaubst, ich mache Spaß. Ich meine
es ernst. Du bist für ihn der Sohn, den er nie gehabt hat. Du hast was für
seinen Wein übrig, mehr als sonst irgendjemand, den er kennt. Du bist fast
immer da. Jedes Mal, wenn ich in den letzten Monaten nach Caerlyon gefahren
bin, warst du auch da. Es tut Francis gut, jemanden um sich zu haben, der sich
für seine geliebte Sammlung interessiert, jemand, mit dem er sich austauschen
kann, der ihm intellektuell gewachsen ist. Wir anderen sind für Francis'
Begriffe alle ziemlich borniert.«
»Francis ist immer sehr
liebenswürdig zu mir«, sagte ich. Meine Stimme klang irgendwie gepresst, selbst
in meinen Ohren.
»Aber sag mal, wie waren deine
Pflegeeltern so, Wilberforce? Seht ihr euch noch?«
»Mein Vater - mein Pflegevater -
lebt nicht mehr. Er war Universitätsdozent. In den letzten Jahren hat er
hauptsächlich an einem Buch über Bismarck geschrieben. Es ist nie
veröffentlicht worden.«
»Das hat er beruflich gemacht. Und
wie war er?«
Mit der Antwort tat ich mich schwer.
In Wahrheit nämlich hatte mein Pflegevater nie richtig Zeit für mich gehabt.
Soweit ich das beurteilen kann, hatte er mich eigentlich nie gemocht, als ich
in das Alter kam, in dem man nach Erklärungen sucht, warum das Leben so
Weitere Kostenlose Bücher