Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
Ameisenhaufen.
Nadia Mendonck fuhr der Schreck in die Glieder. Verzweifelt griff sie nach ihrem Handy, allerdings so nervös und ungeschickt, dass es ihr aus der Hand rutschte und klappernd zu Boden fiel. Umstürzende Stühle, Fußgetrappel, zersplitternde Biergläser. Die Jugendlichen drängten sich vor der Toilette, schubsend und fluchend.
»Halt, Razzia!«, schrie Nadia. »Alle stehen bleiben! Sofort!«
Pierre, der gerade auf die Uhr blickte, hörte es zweimal dumpf knallen und ließ seine Zigarette fallen. »Weiber!« Beide Ermittler hechteten gleichzeitig aus dem Wagen. Keuchend zog Verstappen sein Handy aus der Gesäßtasche und wählte eine eingespeicherte Nummer. »Tümmler! Tümmler!« Das Heulen zweier Sirenen war die Antwort. »Verdammt! Du musst hintenrum!«, rief er.
Aber Pierre, der ihm vorauslief, schien auf einmal blind und taub zu sein. Er holte das Letzte aus seinem dürren Körper heraus. Verstappen zögerte, rannte ihm dann allerdings fluchend hinterher. Das Viertel bestand aus einem undurchdringlichen Labyrinth von Gassen. Er wusste nicht mal, wo sich die Hintertür der Kneipe befand. Genau in dem Moment stürmten zwei Jugendliche aus einer Tür. Yussuf Benaoubi und Said el Hidrissi drehten gleichzeitig ihre Mopeds auf und machten, dass sie wegkamen.
Pierre stürmte als Erster in den Laden, die Waffe im Anschlag. Nadia Mendonck stand im hinteren Teil, den schweißnassen Rücken an einen Türrahmen gestemmt. Kopf und Pistole schwenkten synchron von rechts nach links. Sie hielt zwei Jungen in Schach, die jedoch nicht sonderlich beeindruckt wirkten.
Pierre gesellte sich zu seiner Kollegin. »Keine Panik. Ich habe alles unter Kontrolle.« Er ging in die Toilettenräume, wo ein halbwüchsiger Marokkaner gerade den Abzug betätigte. Der rauhe Fluch des Polizisten ging im Rauschen des Wassers unter.
Verstappen bezog am Eingang Position und behielt die restlichen Anwesenden im Auge. Keiner wagte auch nur, sich von der Stelle zu rühren.
Als Pierre aus den Toiletten herauskam, schob er drei Jugendliche vor sich her. Zwei von ihnen stieß er grob gegen die Theke, den Dritten trat er in den Hintern. »Beine auseinander und Hände auf die Theke! Wird’s bald! Du da, Beine breit! Ein Stück zurück. Okay. Und jetzt eins nach dem anderen. Taschen ausleeren. Mit der linken Hand. Immer schön langsam.«
Murat Marouf drehte sich auf seinem Barhocker um und starrte Pierre mit stechendem Blick an.
»Popeye Doyle«, sagte er aufreizend gedehnt. »
The French Connection
. Lass mich überlegen … einundsiebzig, oder? Jedenfalls im vorigen Jahrhundert.«
Pierres Blick wurde eiskalt, aber keiner der beiden Männer zuckte auch nur mit der Wimper. Jan Verstappen näherte sich vorsichtig. Er war auf das Schlimmste gefasst. Nadia Mendonck durchsuchte keuchend die Toiletten. Murat Marouf machte sich ganz offen lustig über sie, noch dazu, ohne sich vom Fleck zu rühren. Es war oberpeinlich. Diese starren Augen über der Hakennase. Augen, mit denen er einem zu verstehen gab, was für ein unbedeutendes Insekt man war. Dazu dieses arrogante Grinsen. Und diese Haare. Glatt nach hinten gekämmt, glänzend vor Brillantine.
Als die Spezialeinheit in die Kneipe stürmte, war längst alles vorbei. Lediglich einen jungen Marokkaner fingen die Männer noch an der Hintertür ab. Er hatte zwei Gramm Marihuana und ein Butterflymesser in der Socke. Bei einem Jugendlichen fanden sie fünf Gramm gelber Tunesier in der Gesäßtasche. Keine Amphetamine, keine harten Drogen, weder auf dem Boden noch in den Klos.
Am Brusselsepoort steuerte Pierre Vindevogel den Mondeo durch den stockenden Verkehr.
»Wo steckt denn die Mendonck?«, fragte Verstappen.
»Die ist lieber bei Tack und seinen starken Männern ge blieben«, erwiderte Pierre trocken.
Diese dämlichen Dealer und Hehler sind uns immer einen Schritt voraus
, dachte er. Doch dann wanderten seine Gedanken zu der schönen Mulattin, die neben Marouf an der Bar gesessen hatte. Mein Gott, was für ein Schuss!
Es war, als könne Verstappen seine Gedanken lesen.
»Die hübschen Frauen dürfen sicher bleiben, was, Pierre?«
»Äh, was hast du gesagt?«
»Na, die Dunkelhäutige an der Bar. Die darf doch hierbleiben, oder?«
Pierre schaute seinen Partner verwirrt an.
Blöder Besserwisser. Der Schwiegersohn von Verspaille als mein neuer Partner, das hat mir gerade noch gefehlt. Verdammt noch mal! Mein guter alter Walter. Eine ziemliche Nervensäge war er zwar, aber mit dem
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