Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
vier Stunden langen Vernehmung kein Wort zu viel gesprochen. Emotionslos hatte er das Geschehen über sich ergehen lassen. Erst als Bosmans ihn gefragt hatte, wo sich seine Gattin aufhalte, hatte er geblinzelt. Es stellte sich heraus, dass seine Frau im vergangenen Herbst verstorben war.
Krebs macht keinen Unterschied zwischen Reich und Arm. Jedenfalls noch nicht. Du bist ein Trampeltier, Jos Bosmans. »Das wusste ich nicht, entschuldigen Sie.« Herrgott noch mal!
Deleu trank noch einen Schluck und zog, ohne das Päckchen herauszuholen, eine Belga aus seiner Jackentasche. Nadia hasste es, wenn er in ihrer Wohnung rauchte. Egal.
Deleu steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und dachte:
Wer A sagt, muss auch B sagen,
dann zündete er sich die Belga an. Was wusste Ewoud Dewolf vom Treiben seines Sohnes? Dass er es gewesen war, der den nicht allzu hellen Johan bei der Rijkswacht untergebracht hatte, wusste jedes Kind. Das konnte man ihm auch nicht weiter verübeln. Doch was hatte sich hinter den Kulissen abgespielt? Es gab da gewisse Gerüchte, zum Beispiel, dass Dewolf junior politische Ambitionen gehegt habe. Natürlich auf Drängen seines Vaters. Dieser Mord musste eine politische Abrechnung in rechten Kreisen sein!
Deleu dachte an seinen Sohn.
Was wäre, wenn Rob auf die schiefe Bahn geriete?
Er schüttelte den Gedanken ab und ließ die Schultern kreisen. Nadias Wohnung war zwar trendy, aber brütend heiß. Deleu kreuzte die Finger und schwor sich, dass sein nächstes Auto eine Klimaanlage haben würde.
In der Hocke und mit dem Rücken an das Sofa gelehnt – seine Lieblingshaltung zum Nachdenken –, versuchte Deleu, sich zu konzentrieren. Tags zuvor hatte er Dewolfs Kollegen bei der Rijkswacht auf den Zahn gefühlt, aber sie hatten alle dichtgehalten. Wahrscheinlich irgendein dämlicher Ehrenkodex. Vielleicht wäre es besser gewesen, Tack auf sie loszulassen. Der war schließlich einer von ihnen.
Heute hatte er Naib Abram vernommen. Auch dieser Besuch hatte nichts Brauchbares ergeben. Das Geschwätz des Stadtratsmitglieds von der Agalev, den flämischen Grünen, hatte zu seiner hübschen kleinen Villa gepasst: aufgeräumt und glatt gebügelt. Abram hatte genau das Gegenteil von dem erzählt, was der alte Perdieus behauptet hatte, nämlich, dass er Marouf nur vom Hörensagen kenne. Er sei dem Mechelner Drogenbaron niemals persönlich begegnet. Seine gespielte Empörung wirkte jedoch so fadenscheinig wie eine alte Gardine. Und dann dieser ängstliche, verschlagene Blick! Der hatte Deleu noch am meisten fasziniert.
Er seufzte wieder, beschloss, lieber keinen Streit mit seiner Freundin zu riskieren, und ging mit der brennenden Zigarette im Mund hinaus ins Treppenhaus.
Ach ja, diese Razzia heute, bei der Nadia der Lockvogel ist. Deshalb ist sie noch nicht zu Hause. Sie wird doch nicht …? Nein, Blödmann, das war gestern! Oder vorgestern! Aber wo war sie dann gestern?
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7
Freitagnachmittag.
I m Balkweg vor Haus Nummer sechsundsiebzig zog Rasha Benaoubi die Handbremse an. Widerstrebend lehnte sie ihr Fahrrad gegen das Mäuerchen vor der Garage, pustete sich eine Locke aus dem Gesicht und seufzte. Sie war extra noch drei Mal um den Block gefahren, aber es hatte nichts genützt. Der bärtige Mittvierziger in dem verschossenen Klappstuhl beobachtete sie immer noch mit Argusaugen. Er tat so, als sei er in seine Zeitung vertieft, aber Rasha spürte seinen stechenden Blick. Es war, als könne der Mann mit den dicken Wangen und den tiefliegenden Augen durch ihr Sommerkleid hindurchschauen. Er hielt eine Hand auf den Oberschenkel gelegt, ganz weit oben, fast im Schritt. Seine zu kurzen Beine, die aus einer abgeschnittenen Jeans hervorschauten, berührten kaum den Boden. Ausgetretene Sandalen und weiße Tennis socken mit drei ausgebleichten farbigen Streifen komplettierten den lächerlichen Anblick.
Rasha strich ihr geblümtes Baumwollkleid glatt und ging, ohne den Mann eines Blickes zu würdigen, auf die Garage zu.
Unter dem blinden Plastikschild neben dem obersten Klingelknopf steckte ein Papierchen. Rasha glaubte, aus dem Gekritzel »Vanderauwera« herauslesen zu können. Der Name in der Mitte lautete »Familie F. Kuypers« und ganz unten stand gar kein Name. Typisch Yussuf.
Rasha drückte auf den untersten Knopf.
Wie ich solche Situationen hasse! Alle im Viertel reden nur noch über ein Thema. Die Razzia
. Nachdem Yussuf spurlos verschwunden war, hatte ihre Mutter sie gebeten, hier einmal
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