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Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer

Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer

Titel: Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luc Deflo
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    1
    D ie grüne Hölle. Helle Lichtflecken funkelten wie Glasscherben zwischen dem dichten Laub, als Pieter Daelemans um einen dicken Busch herumschlich. Eine Schnecke schleppte mühsam ihr Haus bergan, und der blonde Junge wich der silbrigen Schleimspur mit einem Seitwärtsschritt aus. Ein Knacken.
Der Zweig! Zu spät gesehen
.
    Pieter kämpfte sich durch das Unterholz und lauschte angestrengt.
Ein Rascheln! Hinter mir!
Mit weit aufgerissenen Augen blickte er sich um. Sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich heftig, und er suchte Schutz hinter einem Ahorn. Mit angehaltenem Atem spähte er durch die gezackten Blätter.
Stille. Kein Rascheln, kein Vogelzwitschern
.
    Stille. Bleierne Stille. Es überlief ihn eiskalt, und doch rannen ihm Schweißtropfen über die glatte Haut.
Da ist er! Da, vor mir!
    Die dürren Zweige erwachten zum Leben. Sie schlängelten sich über den Boden, wanden sich um seine dünnen Beine. Höher und höher, bis zu seinem Hals. Pieter Daelemans zerrte am Ausschnitt seines T-Shirts und rannte los. Stolpernd, mit geblähten Nasenflügeln.
Immer weiter! Ins Sonnenlicht!
    Pieter Daelemans, neun Jahre jung. Auf der Flucht.
    »Fang mich doch …!« Diese schleppende Stimme.
    Er ist hier!
Pieter stockte der Atem. Seine Lippen waren wie ausgetrocknet. Er drehte sich auf dem Absatz um.
Da!
Er spurtete zu einem Ginsterstrauch und versteckte sich unter den widerspenstigen, tief hängenden Zweigen. Sie zerkratzten ihm das Gesicht. Als er die Hand vor den Mund schlug, fühlte er etwas Klebriges.
Ein Tier
. Er steckte den Zeigefinger in den Mund und schmeckte Blut.
    »Fang mich doch! Wo bist du?«
    Die Stimme kam näher, klang jetzt anders, drängend, befehlend, gereizt. Pieter Daelemans zog die Beine an und zwängte sich noch tiefer in den dichten Strauch hinein. Schwitzend und keuchend. Er schürfte sich die Knie an einer trockenen Wurzel auf. Jeder einzelne Knochen im Leib tat ihm weh.
    Der Junge lauschte angestrengt. Keine knackenden Zweige mehr. Auch ein Rascheln. Totenstille.
Er ist in die andere Richtung
. Pieter Daelemans atmete auf. Doch gerade als er sich ein Pfefferminz in den Mund stecken wollte, fuhr ihm der Schrecken in die Glieder. Eine behaarte Hand schloss sich wie eine Schraubzwinge um seine Schulter.
    »Fang mich doch!«
    Pieter drehte den Kopf, biss so fest er nur konnte in die Hand und riss sich los. Er trat nach den Fingern, die nach seinem Knöchel griffen, und während er keuchend weiterstolperte, verfolgte ihn heiseres Geschrei. »Aaaah! Verdammt noch mal, Pieter, bist du verrückt geworden? Komm sofort zurück! Jetzt bin ich dran! Du schummelst schon wieder!«
    Eric Daelemans geriet ins Stottern, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute seinem Sohn, der wie vom Teufel gehetzt davonrannte, kopfschüttelnd hinterher. So machte das Spiel keinen Spaß mehr. Vater Daelemans schüttelte seine rechte Hand aus, in der die Zähne seines Sohnes einen unregelmäßigen kreisförmigen Abdruck hinterlassen hatten. Kleine rote Male, fast bis aufs Blut. Daelemans verbiss sich den Schmerz und lief seinem Sohn nach. Rasch verkürzte sich der Abstand zwischen dem hochgewachsenen Mann und dem Neunjährigen.
    »Pieter! Hör auf! Komm schon, wir wollen nach Hause. Die Mama …« Die Worte blieben ihm im Halse stecken. Sein Sohn verschwand plötzlich im Nichts, als hätten ihn die Brombeersträucher verschluckt. Instinktiv griff er nach dem unerreichbar flatternden T-Shirt und musste mit offenem Mund zusehen, wie sein Sohn einer Stoffpuppe gleich den steilen Abhang hinunterstürzte. An dessen Fuß lag, etwa zehn Meter weiter unten, der von Entengrütze überwucherte Teich.
    Daelemans fühlte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg. Er hielt sich an einem überhängenden Ast fest, schwang die Beine über den Rand und rutschte mit den Füßen voran die Böschung hinunter. Er schürfte sich die Beine auf, die Hände, das Gesicht, spürte jedoch keinen Schmerz. Er hatte nur noch Augen für den zusammengekrümmten Körper seines einzigen Sohnes. Reglos lag er da, die Beine in einem unnatürlichen Winkel abgespreizt, das Gesicht zentimetertief im sumpfigen Boden, kaum eine Handbreit vom Wasser entfernt.
    Als Pieter Daelemans endlich die Augen öffnete, fing er an zu schreien. Hoch und schrill, Todesangst in den blauen Augen.
    »Ganz ruhig, Pieter! Ich bin’s, Papa! Hast du Schmerzen?« Daelemans streichelte seinem kleinen Sohn gehetzt über die schweißnasse Stirn, doch der Junge wollte nicht

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