Brandbücher - Kriminalroman
Zersetzung und Vergiftung des deutschen Volkes durch den jüdischen und marxistischen Geist* einsetzte. Aber das verzögerte alles, auch seinen Einsatz.
Als endlich die ersten Töne des Deutschlandliedes angestimmt wurden, wusste Bruno, dass es bald so weit war. Da wurden schon die ersten Fackeln an das Holz des Scheiterhaufens gehalten. Eine schwarz-rot-goldene Fahne war das erste Opfer der Flammen, die Weimarer Republik war vernichtet. Nun musste es weitergehen. Albert war noch dran, Albert Derichsweiler, den Bruno von einer Feier bei den Juristen kannte. Was sagte der denn da: »Nicht etwa blinde Zerstörungswut, sondern ein Läuterungsfeuer für die deutsche Seele, den deutschen Geist und die deutsche Kultur.*« Endlich wurden die Feuersprüche ausgerufen.
»Gegen Klassenkampf und Materialismus! Für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky*«, rief einer in die Runde. Roloff warf zwei Bücher in das Feuer.
In Bruno brodelte es. Ausgerechnet von den beiden Autoren hatte er nirgends ein Buch gefunden. Er hörte auf den nächsten Spruch: »Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner!*« Das war seine Stunde. Ehe sonst jemand reagieren konnte, schleuderte er die Bücher, die er aus seinem Elternhaus mitgenommen hatte, ins Feuer. Die Menge klatschte und johlte: »Weiter!«
Bei den nächsten beiden Feuersprüchen musste Bruno passen, da hatte er keine Bücher, so konnte er sich über seinen Erfolg freuen, während jemand rief: »Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat! Für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm Förster! Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens! Für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften der Schule Sigmund Freuds!*«
Die Reaktionen auf die Bücher, die nun ins Feuer geworfen wurden, waren verhalten, als hätten die Leute sich schon daran gewöhnt. Bruno hatte den meisten Beifall bekommen.
»Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten! Für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig Cohn und Werner Hegemann*«, hörte er gelangweilt. Er wusste, dass in seinem Stapel auch ein Hegemann-Buch war, aber er hatte die Lust verloren. Er wollte alle Sprüche abwarten und dann seine Bücher wie ein Munitionsfeuer auf den Scheiterhaufen schleudern.
»Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung! Für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.*« Die kannte Bruno nicht einmal.
»Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges! Für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.*« Hier brandete wieder Beifall auf, als Roloff gleich mehrere Ausgaben von ›Im Westen nichts Neues‹ ins Feuer warf.
»Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache! Für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr! Gegen Frechheit und Anmaßung! Für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!*«
Der Name Ossietzky hing noch in der Luft, als Bruno schnell hintereinander alle Bücher von seinem Stapel in das brennende Feuer warf.
Die Menschen klatschten und jubelten ihm zu, als wäre er derjenige, der diese Idee gehabt hatte. Dabei war die Idee von der Zentrale der Deutschen Studentenschaft gekommen. Während die anderen das Horst-Wessel-Lied sangen, überlegte Bruno, wie er es schaffen konnte, diese Aktion als seine Idee zu verkaufen. Wahrheit war ein dehnbarer Begriff, das hatte er in den letzten Monaten gelernt.
Epilog
9. November 1938
Lieber Anton, erinnerst Du Dich an die Postkarten, die Herr Weizmann mir geschenkt hat? Ich habe sie genutzt, wie Du es vorgeschlagen hast, damit Du weißt, was geschehen ist, wenn ich es Dir nicht mehr erzählen kann. Ich hoffe, sie werden euch nicht gefährlich. Ich wusste, dass Du die betenden Hände nicht einfach wegwerfen und diese Karte finden würdest.
Es tut mir leid, dass ich euch allein lassen musste. Aber es ging nicht anders. Vor allem Bruno hat
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