Brans Reise
Luft schlucken, wie sie nur wollte. Über ihm hob Turvi die Hand.
»Berav hat zu uns gesprochen! Mit Strömungen und Wellen hat er uns den Weg gewiesen!«
Der Jubel mischte sich mit dem Wind. Bran starrte zu den lächelnden Gesichtern über sich empor und streckte ihnen die Arme entgegen. Er erkannte Dielan. »Du hast es geschafft, Bran! Die anderen sind draußen und fischen Velar auf! Du bist Häuptling geworden, Bruder!«
Dann hoben ihn die Männer hoch, so dass er auf ihren ausgestreckten Armen thronte. Bran richtete seinen Blick auf die am Himmel dahintreibenden Wolken. Der Sturm flaute langsam ab. Es war, wie Turvi gesagt hatte. Wenn Kragg den neuen Häuptling zu sehen bekam, würde er die Winde milder stimmen.
Hagdars raue Stimme durchschnitt den Jubel.
»Du hast es verdient, Junge. Jetzt werden wir dir folgen.«
Er spürte die Faust des älteren Mannes auf seinen Haaren.
»Lasst ihn hinunter«, rief Turvi. »Er kann selber laufen.«
Die Hände wurden weggezogen, bis ihn schließlich die Letzten unter den Armen packten und er die Beine auf den Sand stellen konnte. Einige der Männer klopften ihm auf die Schulter, ehe sie zurücktraten.
»Zurück zu den Booten, Männer!« Turvi winkte sie zu den Bootsrümpfen und den Stämmen zurück, die auf dem Strand lagen. »Lasst Noj hören, dass wir arbeiten!« Dann wandte er sich an Bran. »Er wartet. Geh zu ihm.«
Bran fuhr sich mit den Händen durch das nasse Haar. Die Zeit war gekommen. Alle wussten es. Noj hatte lange genug gewartet. Jetzt durfte er bald ruhen. Die Hämmer begannen wieder gegen die Planken zu schlagen. Er hörte das Drehen der Speere auf dem Holz und den Regen, der auf die Bootsrümpfe herunterprasselte.
Bran kletterte die steilen Dünen empor, drehte sich um und sah noch einmal über das Meer. Von hier aus konnte er die Schäre gut erkennen. Sie lag einen Pfeilschuss entfernt dort draußen zwischen den Wellen. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit Dielan ihn geweckt und gesagt hatte, Turvi fordere alle auf, sich am Strand zu versammeln. Er hatte die kurze, lederne Hose angezogen und war als Letzter des Dorfes in den Regen hinausgetreten. Oben auf den Dünen hatte er Velar stehen sehen, dessen lange Haare im Wind flatterten, und als er selbst nach oben geklettert war und über das Meer blickte, hatte er die Furcht gespürt. Er hatte den Atem der Götter auf seinem Gesicht gefühlt und Beravs Rache in den wütenden Wellen erkannt. Doch er war weitergegangen, hinunter zum Strand, bis zum Wasser, während die Männer ihm Glück wünschten. Er war hinausgewatet, bis das kalte Wasser ihn weckte und Turvi das Schwert fallen ließ. Doch jetzt, da er den Sieg wie Wein in seinen Adern fühlen sollte, verspürte er keine Freude. Er krümmte seinen Rücken unter dem Regen und hielt sich an den Grasbüscheln fest. Der Sand verklumpte zwischen seinen Zehen, als er die letzten Schritte nach oben ging.
Das Lager lag im Windschatten hinter den Dünen.
Balken stützten die schiefen Steinwände ab, und die Dächer waren mit Sehnen an hölzernen Pflöcken befestigt. Sie hatten die Hütten niedrig gebaut, damit sie nicht vom Wind gepackt wurden, der trotz der Dünen vom Meer herüberfegte. Bran rutschte über den Sand zwischen den Grasbüscheln nach unten, bis er den harten Boden der Ebene unter seinen Füßen spürte. Dann folgte er dem Bach, bis er zwischen den Hütten stand. Hier war das Gras zu Tode getrampelt worden, die Abdrücke nackter Füße waren am lehmigen Ufer zu erkennen. Der Wind kräuselte die Oberfläche des klaren Wassers, ehe es in einer Senke zwischen den Dünen verschwand. Stromaufwärts schlängelte sich der Bach an aufgespannten Häuten vorbei, die den Wind abhalten sollten, an Feuern, auf denen Essen gekocht wurde, und an Wasserkrügen, die der Sturm umgeworfen hatte. Bran folgte dem Bachlauf mit seinen Augen, bis er weit hinten auf der Ebene im Morgendunst verschwand. Und dort ragten die Berge in den Himmel, wie ein Bild aus einem fernen Traum. Die Lanzenberge, die sie vor zwei Wintern verlassen hatten. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Bran schloss die Augen, als ein Tropfen aus seinen nassen Haaren über sein Augenlid rann, und ging weiter am Bach entlang. Der Wind spielte ihm die Geräusche der Hammerschläge vom Strand zu. Er warf einen Blick in die leeren Hütten, in denen Speere und Bögen an den mit Decken verkleideten Wänden lehnten. Bald würden sie alle diesen Ort verlassen, und die Hütten würden auf andere
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