Brautflug
leitet. Der Flughafen von Auckland ist groß und international. Sie kommt an den Transferbussen vorbei, die darauf warten, die Ströme von Reisenden in die Stadt zu transportieren, und sie entzieht sich den Blicken der wartenden Fahrer, die auf ihre auffallende Kleidung schauen. Sie weiß, dass kein Fünkchen Verlangen in ihren Augen zu sehen ist, wie es in den neugierigen Blicken der Fall war, denen sie früher begegnete, weil von ihrer Erscheinung ein aufregendes Versprechen von exzentrischem Verhalten ausging, von Jazz und Drinks und europäischen Sitten. Noch immer wiegt sie die Hüften, wie sie es immer ihren Mannequins vorgemacht hat, aber das wird jetzt nur noch für Gehabe gehalten. What the hell, ihre Haut ist dick gepudert, und die Nase trägt sie stolz im Wind. Geratter verfolgt sie auf dem blauen Strich – der kleine Sal mit seinem alten Dreirad auf dem Fußweg in Amsterdam –, sie zieht einen chicen, schwarzen Rollkoffer hinter sich her, in dem sich der mit Bedacht ausgewählte Trauerfeieranzug aus grauem Nadelstreifen befindet, bezaubernd, vielleicht etwas zu warm, aber ansonsten kann sie auch ohne Jacke gehen, in der dazu passenden Bluse aus wunderschöner, tiefroter Seide, der Farbe von dunklem Blut, von Pinot Noir, über solche Dinge denkt sie genau nach. Sie hat auch ihr Schweißblatt nicht vergessen, denn Transpiration hinterlässt auf Seide Ränder. Selbstzufrieden steuert sie auf das Domestic-Flights-Gebäude zu. Ihre einzige Sorge ist, dass sie auf dem blauen Strich bleiben muss, denn links davon tut sich ein Höllenofen auf, aus dem Schreie kommen, die – wie schrecklich das auch klingt – einen unwiderruflich zum Feuer locken, während rechts davon auf einer riesigen Eisfläche ein kleines Mädchen steht und wimmert, leise, aber ohne Unterlass, es ist zum Wahnsinnigwerden.
Wie es der Zufall will, verbringen die drei Frauen die Nacht vor der Beerdigung in demselben Hotel in Martinborough, begegnen sich aber nicht. Sie legen dieselben Strecken zurück – die typischen Gänge, die man üblicherweise in einem Hotel tätigt –, jedoch zu verschiedenen Zeitpunkten. Jede von ihnen ist sich der Möglichkeit bewusst, dass die anderen zwei auch da sein könnten, sodass sie den ganzen Luxus des Gebäudes gar nicht richtig wahrnehmen. Das ist schade, denn trotz allem haben sie sich auf die gestärkte Leinenwäsche und die weichen Sessel gefreut.
Provinziell vornehm, denkt Esther, das ist die beste Art, vornehm zu sein. Sie betrachtet das Hotel, während sie auf den Taxifahrer wartet, der ihren Koffer aus dem Auto holt. Dieses Haus hat nicht die Arroganz städtischer Eleganz und freut sich schamlos an seinem blitzenden Kupfer, seinen Gemälden und seinen englischen Antiquitäten; es stört gar nicht, dass es nicht mehr zeitgemäß ist. Das bin ich schließlich auch nicht.
Während sie dem Mann ins Hotel folgt, sieht sie im Vorbeigehen auf der Terrasse eine beleibte Dame sitzen, die, mit der Gabel in der linken Hand, ungeschickt in eine
Pie
sticht, ihr rechter Arm liegt in einer Armschlinge. Oh dear, eine Kniebundhose und dazu auch noch nackte Beine. Sie hat noch nie verstanden, warum alte Leute – Altersgenossen, aber von einer anderen Sorte – sich für Komfort anstatt für Eleganz entscheiden und an warmen Tagen den Blick auf magere, verdorrte Beine freigeben, auf denen sich Adern als blaue Flüsse durch die Schilflandschaft der Haut winden. Warum müssen wir uns das ansehen? Warum nicht einfach eine hübsche
Coolwool
-Strumpfhose anziehen? Soll die alte Haut noch braun werden? Denken sie, dass sie davon schöner wird? Vielleicht sehen sie es als ihr Recht an. Worauf wir heutzutage nicht alles ein Recht haben. Sie bekommen all meine Fettrollen auf meinem Bauch zu sehen, schließlich darf ich doch einen Bikini tragen, wenn das mein Wunsch ist.
Ach, scher dich zum Teufel.
Das Vorsichhinmurmeln ist eine angenehme Eigenschaft, die durch das viele Alleinsein entstanden ist, in den vielen Stunden, in denen sie, über ihre Skizzenbücher gebeugt, ohne Unterlass neue Brautkleidmodelle entwirft. Schon jahrzehntelang hat sie ihr großes Bett für sich allein und macht keine Anstalten, sich einen Liebhaber zu suchen. Sie steht morgens vor sich hin murmelnd auf. Spät, aber nie widerwillig. Ich bin ein Wunder der Natur, sagt sie zu sich selbst, jeden Abend freue ich mich wie ein Kind, dass morgen wieder ein neuer Tag beginnt. Das jedenfalls konnten sie mir nicht vermiesen. Aber oh, wie
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