Brautflug
Worüber macht er sich solche Sorgen? In ein paar Tagen bin ich wieder da, und alles geht seinen gewohnten Gang. Der Gedanke gibt ihr den Mut, sich umzudrehen und ihn direkt anzusehen. Zu winken. Natürlich wird ihr Gruß nicht erwidert. Sich selbst kann sie immer noch am besten betrügen.
Labil, bemerkt Marjorie, als sie durch das Niemandsland über den Wolken auf dem Weg nach Neuseeland fliegt, ich bin labil. In dem großen Flugzeug ist es dunkel und still. Neben ihr schläft ihr Sohn. Sie fliegen Business Class, jemanden in ihrem Alter kann man nicht mehr Economy fliegen lassen, hatte Bob befunden. Es sind wirklich perfekte Sitze, dennoch kann sie nicht schlafen, das ist alles zu viel. Sie betrachtet ihren Jungen, einen Mann mittleren Alters – unvorstellbar –, mit einer erfolgreichen Laufbahn, drei hübschen Töchtern, ihren Enkelkindern. Sie legt mit ihrem gesunden Arm die Decke um seine Schultern und versucht der Angst, die sie die letzten Jahre in zunehmendem Maße übermannt hat, ruhig ins Gesicht zu blicken, so wie sie das gelesen hat. Eigentlich will sie ihn am Arm rütteln, um ihn aufzuwecken, sie müssen reden, es ist von größter Wichtigkeit. Stattdessen drückt sie auf ein Knöpfchen, und kurz darauf erscheint die Stewardess.
»Könnte ich noch etwas Wasser bekommen?«
Sie schluckt zwei Schmerztabletten. Ihr Handgelenk war tatsächlich gebrochen, und während der Arzt es richtete und sie sich die Kehle aus dem Leib schrie, saß Bob mit seinem Laptop auf dem Schoß im Wartezimmer, um herauszufinden, wie sie auf schnellstem Wege nach Neuseeland kommen könnten. Er fuhr mit und damit basta. Er verstand nicht ganz, warum seine Mutter unbedingt auf diese Beerdigung musste, sie hatte seines Wissens keinen Kontakt mehr zu Frank de Rooy gehabt, aber dass ihr Entschluss feststand, war sonnenklar, und mit einem Gipsarm konnte sie nicht allein reisen. Er ließ sich nicht davon abbringen, genauso ein Dickkopf wie sie. Er wollte außerdem das Land, in dem er bis zu seinem neunten Lebensjahr gelebt hatte, gerne einmal wiedersehen. Dann sollte es so sein, dachte sie, das ist ein Zeichen, und sie gab ihren Protest auf. Dass seine Anwesenheit ihren Aufenthalt nicht im Geringsten einfacher machen würde, konnte er nicht wissen – durfte er nicht wissen.
Zu allem Überfluss schickte er eine E-Mail an Hannah, die seit ihrem Abitur auf Reisen ist, dass ihr Papa und ihre Oma in zwei Tagen in Martinborough sein würden. Mit ein bisschen Anlauf ist man mit einem Satz von Australien aus in Neuseeland, schrieb er, ich zahle dir auch das Ticket. Bring Lakritz mit, schrieb sie zurück. Und obwohl Marjorie sich unglaublich auf das Wiedersehen mit ihrer jüngsten Enkeltochter freute, war diese Nachricht ein weiterer Schreck, den sie mit niemandem teilen konnte.
Bob und sie waren am selben Abend um neun Uhr aufgebrochen. Er arbeitet in einem Museum (wunderbar, das in bescheidenem Ton ihren Bekannten zu erzählen, mein Sohn, du weißt schon, der Architekt, hat so einen guten Auftrag), aber er hat genug Mitarbeiter, die seine Abwesenheit eine Weile überbrücken können. Vera brachte sie in ihrem schnellen Audi nach Schiphol, und Marjorie wartete ungeduldig während der innigen Abschiedsumarmung ihres Sohnes mit seiner Frau. Du bist eifersüchtig, hatte Hans sie immer geneckt, du willst, dass er für immer dein kleiner Junge bleibt. Das stimmt nicht, sie findet einfach, dass Vera manchmal etwas besitzergreifend ist, ich meine, wenn man zwanzig Jahre lang verheiratet ist, kann man dem anderen doch auch mal seine Ruhe lassen, die meisten Ehen sind zu dem Zeitpunkt schon wieder geschieden.
Heute Abend ist es wieder so gewesen. Endlich hatten sie das Gepäck auf dem Wagen und liefen zusammen zur Abflughalle, da fing das ganze Ritual mit Verabschieden und Winken wieder von vorne an. Vera warf Kusshände und rief wie eine jiddische Mama, dass er anrufen sollte, wenn sie da waren. Ihn schien das nicht zu stören, er ist schon immer ein gutmütiger Mensch gewesen, schon als Kind. Ein tapferer, starker, fröhlicher Junge, der im Rugby alle überragte und ein guter Schwimmer war, ganz
ihr
Junge. Das böse Erwachen kam, als sie nach Holland zurückgingen, er mit überdachten Chlorbädern vorliebnehmen und sich dann auch noch in einer Fußballkultur zurechtfinden musste. Fußball war etwas für Weicheier, er hatte in der Küche gestanden und ratlos vor sich hingestampft. Sie hatte nicht gewagt, ihn anzusehen.
»Freust du dich
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