Brennaburg
sehen, wie solch ein Vorzeichen schmeckt.« Er lachte erneut, drehte sich um und ging.
Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Bernhard fühlte die feuchte Kühle, bis über die Knie war er wie abgestorben. Trotzdem rührte er sich nicht von der Stelle. Die Kirche bindet und löst, sprach es in ihm, jede Sünde kann sie nachlassen – nur eine nicht, denn die wird weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben: die wider den heiligen Geist. Wer die Kirche nicht hört, sei wie ein Heide und Zöllner. Deutliche Sätze, genauso deutlich, wie jene gräßlichen Lästerungen, die er gerade vernommen hatte … Die Namen von Märtyrern fielen ihm ein, Mauritius, Sebastian, Quirinus, der fünfzehnjährige Agapitus. Man hatte sie mit Pfeilen gespickt und kochendem Wasser übergossen, ihnen Hände und Füße abgeschlagen, die Zähne ausgebrochen. Er, Bernhard, aber hatte sich schon einer Drohung gebeugt.
Er gab sich einen Ruck und ging zu den anderen. Sehnsüchtig forschte er in ihren Mienen nach Anzeichen von Schadenfreude oder Verachtung, etwas, das ihn vielleicht veranlassen würde, noch einmal aufzubegehren. Er fand jedoch nichts. Siegfried reichte ihm gähnend ein Stück Fleisch, der König stierte ins Feuer, Otto schabte verkohlte Fetzen von seinem Braten. Bernhard setzte sich, und nach einem Gebet begann er zu essen.
In den Lichtkreis der Flammen drangen die Geräusche des Abends, seltsam klar, doch keineswegs störend. Ein Kauz rief sein melodisches ›Kijuwitt‹, ein zweiter antwortete ihm. Stöhnend rieb sich ein Ast im Rhythmus des Windes am Stamm des Nachbarbaumes. Dann und wann schrieen die Wachen, um ihre Angst zu vertreiben, Schimpfworte in den Wald und warfen ihnen brennende Wachsfackeln hinterher.
Nach einer Weile bemerkte der Bischof erstaunt, daß sich seine Niedergeschlagenheit verflüchtigt hatte. Fast war ihm behaglich zumute. Hatte er nicht eben noch gemeint, sein Versagen niemals verwinden zu können? Jetzt, da er den zufriedenen Ausdruck in Heinrichs Gesicht sah, den Widerschein jener wohligen Trägheit, die auch ihn erfüllte, war ihm der Kummer, den er vorhin empfunden hatte, plötzlich nicht mehr recht verständlich; sogar seine früheren Anschauungen über diesen Mann kamen ihm auf einmal wunderlich vor. Wichtig dünkte ihn im Augenblick lediglich eines: die Beine so zu drehen, daß sie das Feuer von allen Seiten erwärmte.
Sobald man in Magdeburg eintreffen würde, sollten sämtliche Vorräte an Wein Graf Siegfried unterstellt und nur noch dann angetastet werden, wenn der König das erlaubte. Um sich über diese traurige Aussicht hinwegzutrösten, war ein Teil der Leute bis zum Morgengrauen wach geblieben und inzwischen mehr oder minder betrunken.
Einer von ihnen, Herpo, war Zinsbauer eines Klosters, das zur Halberstädter Diözese gehörte. Mit seinen siebenunddreißig Jahren befand er sich in einem Alter, das einen des Kriegshandwerks unkundigen Mann eigentlich vom Dienst jenseits der Grenze befreite. Dennoch hatte ihn der Vogt dem Aufgebot zugeteilt, angeblich deshalb, weil er außergewöhnlich geschickt beim Beschlagen von Pferden und Instandsetzen von Geräten mancherlei Art sei. Das stimmte zwar, wäre jedoch ebenfalls ein Grund gewesen, ihn zu schonen. Und tatsächlich lag die wahre Ursache für diese Entscheidung woanders. Als Nachkomme rodungsfreier Bauern besaß er sein Land zu verhältnismäßig günstigen Bedingungen. Seine Schweinezucht hatte in der Gegend einen gewissen Ruf. Es war daher begreiflich, daß dieser Besitz, inmitten von weitaus höher belasteten Höfen gelegen, die Gier der Klosterleute erregte. An Herpos Rechten ließ sich indes nicht rütteln.
Unglücklicherweise hatte jedoch sein ältester Sohn vor zwei Jahren bei einem Streit einen Mann erschlagen. Notwehr oder nicht – der Getötete zählte zum Gefolge des Grafen und war darum durch ein sehr hohes Wergeld geschützt. Das mußte die Familie nun aufbringen. Und wie das so ist, gesellten sich zu diesem Mißgeschick noch weitere: Herpo verletzte sich beim Bäumefällen am rechten Arm und konnte längere Zeit nur mit halber Kraft arbeiten; durch Blitzschlag brannte ihm ein Speicher ab – fast ein Drittel der Ernte kostete ihn das; schließlich wurde ein anderer Sohn von Bienen angefallen und so zugerichtet, daß er starb. Seither war Herpo mit den Abgaben immer mehr in Rückstand geraten, was dem Vogt zum Vorwand gedient hatte, ihn unter die fünf Männer einzureihen, die der Fronhof stellen mußte.
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