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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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Äußere und innerlich Freundlichkeit und Licht gibt, ist, daß die Fenster sehr groß sind, hölzerne Kreuze und große, helle und gut gehaltene Glasscheiben haben, viel besser, als dies bei uns manchmal selbst in größeren Städten der Fall ist. Ein
Haus gehört der Badeanstalt selbst, in diesem wohne ich, es ist aber klein und gewährt wenig Vorzüge gegen die Wohnungen bei den Dorfbewohnern. Die Badegesellschaft ist ziemlich zahlreich, obgleich die Furcht vor der Cholera viele abhält, in diesem Jahr die Ost- und selbst die Nordseebäder zu besuchen. Für das Zusammenkommen der Badegäste gibt es ein eigenes Gebäude mit Versammlungssälen zum Speisen und zu Abendgesellschaften. Ich esse aber in meiner Wohnung und bin erst einmal in jenem Saale gewesen. Doch gibt es einzelne Personen, die mich und die ich besuche. Was den Aufenthalt in diesem und in allen Seebädern in Vergleichung mit anderen Bädern angenehmer macht, ist der Umstand, daß man hier nicht von so schweren Kranken und von so großen Krüppelhaftigkeiten hört und noch weniger sieht. Gegen solche Übel ist das Seebad nicht geeignet, und da es auch immer, um Gebrauch davon machen zu können, noch gewisse Kräfte voraussetzt, so können so sehr kranke Personen es nicht benutzen. Ich sehe nur einen Mann hier, der auf Krücken geht und sich, da der Weg zum Badestrande vom Dorfe nicht ganz nahe ist, in einer Sänfte hintragen läßt. So können Sie sich nach der ausführlichen Beschreibung meines hiesigen Aufenthaltes ein anschauliches Bild meines Lebens machen.
    Ich habe noch keinen Brief von Ihnen erhalten, glaube aber gewiß, daß ich morgen, wo Posttag
für ankommende Briefe ist, einen erhalten werde. Ich lasse indes den meinigen immer abgehen. Die Briefe bleiben hier ungewöhnlich lange aus. Ich bitte Sie, mir am 5. August hierher, wie ich Ihnen neulich schrieb, über Aurich zu schreiben. Mit der herzlichsten Teilnahme Ihr H.
     
     
Tegel
, den 1. Januar 1832.
     

    I ch bin fortdauernd sehr wohl und kann auch weniger über Schwächlichkeit klagen als sonst. Das Seebad hat mir offenbar wohlgetan, nur mit dem Schreiben geht es gleich langsam und schlecht, und die Stumpfheit der Augen nimmt doch zu. –
    Sie freuen sich, daß ich mich wieder heiter dem Leben zuwende, und da Sie liebevollen Anteil an mir nehmen, so können Sie sich allerdings meiner größeren Kräftigkeit freuen. Mit dem heiteren Zuwenden zum Leben aber ist es eine eigene Sache. Es ist wahr und nicht wahr zugleich. Ich hatte mich niemals vom Leben abgewendet, dies zu tun ist ganz gegen meine Gesinnung; solange man lebt, muß man das Leben erhalten, sich ihm nicht entfremden, sondern darin eingreifen, wie es die Kräfte und die Gelegenheit erlauben. Das Leben ist eine Pflicht, die man erfüllen muß; man ist allerdings in der Welt, um glücklich zu sein, aber der Gutgesinnte findet sein höchstes Glück in der Pflichterfüllung, und der Weise trauert
nicht, wenn ihm auch kein anderes wird, als was er sich selbst zu schaffen imstande ist. In einem anderen Sinne aber dem Leben zugewendet habe ich mich nicht. Die Änderung, die das Gefühl größerer Kräftigkeit in mir hervorgebracht hat, ist die, daß es mich gemahnt hat, da ich das Vermögen in mir dazu besitze, noch allerlei zu vollenden, was ich im Sinn habe, eingedenk der Ungewißheit der mir dazu übrig bleibenden Zeit. Die Folge ist also gewesen, daß ich noch haushälterischer mit meiner Zeit umgehe und mich seit meiner Rückkehr von Norderney noch einsamer zurückgezogen habe, mich noch anhaltender mit mir selbst beschäftige, und mir alles andere noch gleichgültiger in Beziehung auf mich ist. Die Heiterkeit am gegenwärtigen Augenblicke kann mir nicht wieder werden, seitdem meinem Leben etwas fehlt, für das es keinen Ersatz gibt, aber die Beschäftigung mit der Vergangenheit gibt mir eine sich immer gleich klare und ruhige Heiterkeit. Das Leben recht eigentlich in seinen guten und bitteren Momenten durchzuempfinden und das Tiefste und Eigenste, was die Brust in sich schließt, seinen äußeren Einwirkungen entgegenzustellen, nannte ich oben eine Pflicht, und sie ist es gewiß, aber es wäre auch widersinnig, es nicht zu tun. Das Dasein des Menschen dauert gewiß über das Grab hinaus und hängt natürlich zusammen in seinen verschiedenen Epochen und Perioden. Es kommt also darauf an, die Gegenwart zu
ergreifen und zu benutzen, um der Zukunft würdiger zuzureifen. Die Erde ist ein Prüfungs- und Bildungsort, eine Stufe zu

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