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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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Gemüter nicht den Übrigbleibenden von selbst dem Vorangegangenen nachführte. Ich begreife, daß dies Gefühl nur in wenigen so lebendig sein, nur auf wenige Fälle passen könne. Aber auch ganz einfache Fälle, selbst unbedeutende, nur harmlose und gute Menschen, wenn sie auch kaum eine Lücke in der Reihe der Zurückgebliebenen zu machen scheinen, erregen doch immer Wehmut und Schmerz, die in einem irgend fühlenden Gemüt nicht so leicht und nicht so bald verklingen. Das Leben hat seine unverkennbaren Rechte, und es gibt nichts Natürlicheres als den Wunsch, womöglich mit allen, die man liebt und schätzt, zusammen darin zu bleiben, und den Schmerz, den nie endenden, wenn dies Band zerrissen wird. Die zu große Ruhe bei dem Hinscheiden geliebter Personen, wenn
sie auch nicht aus Gefühllosigkeit, sondern aus christlicher Ergebung entspringt, ja die unnatürliche Freude, daß sie ins Himmelreich eingegangen sind, zeigen immer von einem überspannt frömmelnden Gemüt, und ich habe niemals damit sympathisieren können.
    Die guten Nachrichten von Ihrer gestärkten Gesundheit haben mir lebhafte Freude gemacht. Suchen Sie nur ja, sich recht viel Bewegung zu machen. Dieser so ungewöhnlich gelinde Winter ladet doppelt dazu ein. Ich erinnere mich seit Jahren keines ähnlichen. Es ist wenigstens hier gar kein Schnee mehr. Wunderbar aber ist es, daß der See, der mehr als eine Meile im Umkreise hat, und in dem ich bloß fünf Inseln besitze, noch immer fest zugefroren ist. Die nächste Stadt von hier ist Spandau, die gerade an der gegenüberstehenden Seite des Sees liegt. Nun kommen alle Tage eine Menge Schlittschuhläufer von dort zum Vergnügen hierher, auch Frauenspersonen in Handschlitten, die von Schlittschuhläufern gestoßen werden. Dies geschieht alle Jahre, aber fast in jedem Jahr verunglückt auch einer bei solcher Postreise. Sie setzen nämlich diese Überfahrten zu lange, wenn auch schon Tauwetter ist, fort und kommen dann auf schwache, einbrechende Stellen. Diese Beispiele vermögen aber die anderen nicht abzuschrecken.
    Mein Befinden ist sehr gut, ich habe kaum einmal einen Schnupfen in diesem Winter
gehabt, aber ich mache mir viel Bewegung, und das tut mir immer ungemein wohl.
    Ich bin im Schreiben dieses Briefes gestört worden und endige ihn erst heute, den 6. Februar. Leben Sie herzlich wohl, mit inniger Teilnahme und Freundschaft der Ihrige. H.
     
     
Tegel
, den 7. März 1832.
     

    I ch habe zwei liebe Briefe von Ihnen zur Beantwortung vor mir und fange in meiner Erwiderung zuerst mit dem an, womit Sie enden, mit dem Duell. Ich habe die erste Nachricht davon durch Sie erfahren, da ich Zeitungen sehr unordentlich und oft in vier und sechs Wochen gar keine lese. Das wird Ihnen unglaublich scheinen. Aber die sogenannten großen Begebenheiten bieten seit Jahren so wenig dar, woran sich das Gemüt innerlich interessieren könnte, daß mir sehr wenig daran liegt, sie früher oder später oder auch garnicht zu erfahren. In solche Periode des Nichtlesens war jene unselige Geschichte gefallen.
    Mit den Duellen ist es übrigens eine eigene Sache. Viele sind freilich bloße Jugendtorheiten. Allein mit anderen verhält es sich doch anders. Sie sind ein notwendiges Übel, und in ihnen selbst liegt eine edle Art, einen einmal unheilbaren Zwiespalt zu lösen und abzumachen. Im Volke ziehen sich Feindschaften mit Erbitterung und Rachsucht jahrelang hin.
Der Zweikampf, der nicht immer lebensgefährlich ist und oft ganz unblutig abgeht, führt schnell die Versöhnung herbei und endet allen Groll.
    Sie haben, liebe Charlotte, sehr lange der Sterne nicht erwähnt, aber gewiß versäumen Sie solche nicht. Ich habe sie nie schöner als dies Jahr gesehen. Die Gegend um den Orion ist bezaubernd. Ich habe an zwei schönen Abenden meinen Spaziergang bis zur recht späten Sternenzeit verlängert und einen großen Genuß gehabt. Von jeher habe ich meine Spaziergänge gern so eingerichtet, daß der Sonnenuntergang die größere Hälfte desselben beschließt. Es hat etwas so Liebliches, die Dämmerung nach und nach untergehen zu sehen. Die Nacht hat überhaupt manche Vorzüge vor dem Tage. Eine stürmische ist erhabener, und eine sanfte und stille zieht das Gemüt ernster und tiefer an. Die kleineren Sterne entgehen nur jetzt meinen Augen, und man gewinnt doch nur dann eine richtige Ansicht der Sternbilder, wenn man auch die kleineren Sterne darin aufsuchen kann. Vormittags ist es eigentlich wärmer und in gewisser Art,

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