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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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dasselbe im Munde eines anderen hat nicht die gleiche Wirkung. Sie müssen es also den Gesinnungen zuschreiben, die Sie für mich so liebevoll hegen, wenn meine Worte vorzugsweise Eindruck auf Ihr Gemüt machen. Es freut mich aber ungemein, wenn Sie sagen, daß ich Ihnen in Trost und Ermutigung gerade das zubringe, was Ihrer Stimmung angemessen ist. Ein natürlicher Hang hat mich schon sehr früh im Leben auf das Streben geleitet, in jeden Charakter und in jede Individualität so tief einzugehen, als möglich war, um mich möglichst in ihre Denkungs-, Empfindungs- und Handlungsweise zu versetzen, und was Sie mir sagen, ist mir ein neuer Beweis, daß mir mein Bestreben nicht ganz mißlungen ist. Es ist aber nicht genug, die Ansichten der Menschen zu kennen, man muß auch zu bestimmen verstehen, wie sie sich zu denen verhalten, die man als die unbedingt richtigen, hohen und von allen, den einzelnen Individualitäten immer anklebenden Einseitigkeiten
freien, anzusehen hat, und danach die Richtung des Individuums lenken. Auf diesem Wege muß man dahin gelangen, jedem einzelnen nicht bloß verständlich zu werden, sondern ihn auch auf diejenige Weise zu berühren, welche gerade für seine Empfindungsart die passendste und angemessenste ist. Man braucht aber bei diesem Gange nie seine eigene Natur weder aufzugeben, noch zu verleugnen, auch nicht die fremde unbedingt für die einzig beifallswürdige anzusehen. Da man immer von dem Punkte ausgeht und wieder dahin zurückkommt, wo sich alle Individualitäten ausgleichen und vereinigen, so fallen die schneidenden Kontraste von selbst weg, und es bleibt nur das miteinander Verträgliche übrig. Es ist wirklich das Wichtigste, was das Leben darbietet, sich nicht in sich zu verschließen, sondern auch ganz verschiedenen Empfindungsweisen so nahe als möglich zu treten. Nur auf diese Art würdigt und beurteilt man die Menschen auf ihre und nicht auf seine eigene, einseitige Weise. Es beruht auf dieser Manier zu sein, daß man Respekt für die abweichende des anderen behält und seiner inneren Freiheit niemals Gewalt anzutun versucht. Es gibt außerdem nichts, was zugleich den Geist und das Herz so anziehend beschäftigt, als das genaue Studium der Charaktere in allen ihren kleinsten Einzelheiten. Es schadet sogar wenig, wenn diese Charaktere auch nicht gerade sehr ausgezeichnete oder sehr merkwürdige sind. Es ist immer
eine Natur, die einen inneren Zusammenhang zu ergründen darbietet, und an die ein Maßstab der Beurteilung angelegt werden kann. Vor allem aber gewährt einem diese Richtung den Vorzug, die Fähigkeit zu gewinnen, den Menschen, mit denen man in Verbindung steht, innerlich in aller Rücksicht mehr sein zu können.
    Was Sie mir von den Äußerungen einiger Menschen über Todesfälle schreiben, habe ich sehr merkwürdig gefunden. Die Betrachtung, daß dem Verstorbenen wohl ist, wird sehr oft nur als ein Vorwand vorgebracht, seine eigene Gleichgültigkeit zu beschönigen. So wahr auch übrigens der Satz gewiß ist, so läßt er sich nicht einmal immer anwenden. Auch der Verstorbene ist oft zu beklagen, daß er so früh oder gerade in dem Augenblicke, wo er starb, hinweggerissen wurde. Eine junge Person hätte gern länger gelebt; eine Mutter wäre gern bei ihren Kindern geblieben, und hundert Fälle der Art. Für den Zustand jenseits gibt es kein zu früh oder zu spät, die Spanne des Erdenlebens kann dagegen garnicht in Betrachtung kommen. Die Wehmut, die das Herz bei Todesfällen geliebter oder geschätzter Personen erfüllt, ist eine Empfindung, die mit vielen im Gemüt zugleich zusammenhängt. Es ist wohl der Zurückbleibende, der sich selbst beklagt, aber es ist weit mehr noch als dies immer mehr oder weniger auf sich selbst und sein Glück bezogene Empfindung. Wenn der Tote ein sehr vorzüglicher Mensch
war, so betrauert man gleichsam die Natur, daß sie einen solchen Menschen verlor. Alles um uns her gewinnt eine andere und schwermütigere Farbe durch den Gedanken, daß der nicht mehr ist, der für uns allem Licht, Leben und Reiz gab, es ist nicht mehr das einzelne Gefühl, daß uns der Dahingegangene so und so glücklich machte, daß wir diese und jene Freude aus ihm schöpften, es ist die Umwandlung, die unser ganzes Wesen erfahren hat, seit es den Weg des Lebens allein verfolgen muß. Für ein tiefer empfindendes Herz liegt auch darin ein höchst wehmütiges Gefühl, daß das Schicksal so enge Bande zerreißen konnte, daß die innere Verschwisterung der

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