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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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traurigem Einerlei an einem vorüber.
    Mit den Ihnen bekannten unveränderlichen Gesinnungen der Ihrige. H.
     
     
Berlin
, im April 1824.
     

    A llerdings gehört das vollkommene Gelingen unserer Unternehmungen der ursprünglichen Kraft wohl größtenteils an, die der Mensch nicht in seiner Gewalt hat. Ich teile ganz Ihre Meinung, daß es noch mehr von einem nicht zu erklärenden höheren Segen abhängt, der einzelne begleitet, und wohl, wie Sie sagen, auf der Lauterkeit Ihrer Gesinnungen beruht. Ihr Ausdrucke, daß es scheine, als ob die Gottheit ihren Segen nur in reine Gefäße ergieße, hat mir ungemein gefallen. Der Mensch vermag diesen Segen, wenn er ihm entsteht, nicht herbeizuzaubern. Daß dieser Segen wirklich mit den Menschen zusammenhängt auf unsichtbare und geheimnisvolle Weise, das glaube ich mit Ihnen. Aber die Begriffe von Glück und Unglück sind selbst bei denen, die richtige Ideen zu haben pflegen, so unbestimmt und so irrig, daß ich von früh an immer gestrebt habe, mir darüber ganz klar zu werden, und wie ich dahin gelangt bin, habe ich gefühlt, daß man des Glückes, bis auf einen gewissen Grad wenigstens, immer sicher ist, so
wie man sich von den äußeren Umständen unabhängig macht, so wie man lernt, Freude aus allem Erfreulichen in Menschen und Dingen zu ziehen, aber in Menschen und Dingen nichts eigentlich zu bedürfen.
    Gewiß hat man seinen Lohn dahin, indem alles Verdienst aufhört, wenn man der Folgen wegen etwas tut.
    Was ich beitragen kann, Ihr Leben zu erheitern, werde ich immer mit Freuden nach meinen Kräften tun. Erlauben Sie mir den Rat, sich einmal einige Erholung zu gönnen in der schönen Jahreszeit; sollte Ihnen nicht eine Badekur zuträglich sein? Antworten Sie mir vertrauend, liebe Charlotte, niemand als Sie und ich weiß von dem, was Sie mir und ich Ihnen sage. H.
     
     
Tegel
, im Mai 1824.
     

    S ie haben mir durch das mir übersandte neue Heft Ihrer Biographie eine viel größere Freude gemacht, als Sie es wohl geglaubt haben mögen. Ich habe es mit dem größten Anteil gelesen. Zuerst und hauptsächlich aus Anteil an Ihnen. In dieser Hinsicht ist es ein sehr erfreuliches Heft, weil es eine Zeit schildert, die Sie glücklich und froh verlebten und unter interessanten Menschen zubrachten. Es hat mich lebhaft in die Vergangenheit und in jene Zeit zurückversetzt. Wenn auch die verschiedene Lebensart, in von einander entfernten Provinzen Deutschlands, Sitten und
Lebensweise sehr verschieden gestaltet, so spricht sich doch auch wieder der eine Geist der Zeit gleichmäßig in allem aus.
    Was Sie als Kind von sich erwähnen, daß Sie Bilder in der Phantasie getragen, für die Sie Wesenheit wünschten, ersehnten, erwarteten, ist mir genau ebenso und von der frühesten Kindheit an gewesen, ich glaube gewiß vom sechsten Jahre an, was doppelt früh bei mir ist, da ich erst im dritten sprechen gelernt habe. Bei Ihnen war es die Sehnsucht nach einer Freundin, und zum Teil entstanden durch das Lesen der Clarisse. Bei mir hatte es keine äußere Ursache oder Veranlagung, wenigstens ist mir durchaus keine erinnerlich. Die Gegenstände, ich meine nicht eingebildete Personen, sondern die Sachen überhaupt, die sie betraf, waren allerdings verschieden, aber eine blieb von dieser Zeit der ersten Kindheit bis jetzt und wird vermutlich bis an meinen Tod bleiben; denn noch jetzt, wenn ich einmal eine schlaflose Nacht habe, oder allein im Wagen sitze, oder spazieren gehe, oder sonst eine Zeit habe, die man in bloßer Beschäftigung der Einbildungskraft zubringen kann, beschäftigt mich dieselbe Vorstellung noch immer, wie die in meiner Kindheit, aber natürlich in anderer, oft wechselnder Gestaltung. Da es ein Gegenstand ist, der garnicht in das Leben übergehen, sondern nur auf die innere Denkweise einwirken kann, so berührt es mich auch im Leben nicht, sondern geht wie eine Dichtung neben der Wahrheit fort;
allein im Innern verdanke ich, im besten Sinne des Worts, dieser Selbstbeschäftigung sehr viel. Es ist ja überhaupt die natürliche Folge aller inneren Tätigkeit und jeder recht lebendigen Regsamkeit der Einbildungskraft und des Gefühls, daß dadurch die wirklichen Ereignisse des Lebens mehr in Schatten treten, und das zu große Gewicht dieser, ihr zu helles Licht zu vermindern, ist immer heilsam, das Unglück schadet und drückt dann weniger, und das Glück fesselt nicht an seinen Genuß, und macht den Gedanken erträglich, daß es immer leicht beweglich, vielleicht nicht

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