Briefe an eine Freundin
Ich erfreute mich an allem Großen und Schönen, was ich las oder hörte, nahm meinen Anteil von dem Wahren und Guten, suchte den Sinn wie früher zu verstehen, dem
Geist zu folgen, wenn ich ihn nicht gleich faßte. Das alles läßt sich nur durch Worte andeuten, aber nicht sagen. Nur einmal Sie wiederzusehen, wäre es auch nur in der Ferne, war und blieb mir ein vergeblicher Wunsch. Durch Freunde, welche kürzlich einige Zeit in Berlin lebten, erfuhr ich ausführlicher, was ich schon wußte, daß Ew. Exzellenz mit einer höchst geistreichen und ebenso edlen Dame sehr glücklich vermählt und Vater sehr liebenswürdiger Kinder sind, welche reiche Hoffnungen geben.
Ich lege hier ein Blättchen ein, das Ihnen drei in Pyrmont verlebte Jugendtage zurückrufen wird. Ich habe das liebe Blättchen unter den kleinen Heiligtümern der Jugend sorgfältig vor allen andern bewahrt, als das einzige Pfand und Siegel der reinsten und zugleich der einzigen wahren Lebensfreude, die mir das Schicksal zugewogen. Dies Blättchen (das ich mir zurück erbitten darf) wird Ew. Exzellenz eine Bekanntschaft zurückrufen, welche die großen Bilder und Erscheinungen des Lebens längst verwischt und ausgelöscht haben werden. Im weiblichen Gemüte bleiben solche Eindrücke tiefer und sind unwandelbar, um so mehr, wenn es (welche Bedenklichkeit sollte ich finden, Ihnen nach 26 Jahren diesen Beweis von Verehrung zu geben?) wie bei mir, die ersten, ungekannten Regungen erster, erwachender Liebe waren, so geistiger Art, wie sie wohl bei der edleren Jugend immer sind. Für die weibliche Jugend
und die Entwickelung des Charakters aber ist es gewiß von der höchsten Wichtigkeit, für welchen Gegenstand die ersten Gefühle erwachen. Auch knüpften sich, was selten ist, durchaus keine trüben oder schmerzlichen Gefühle daran, sondern sie wurden von großem Einfluß auf die Ausbildung meines Charakters und Gemüts.
Die Gefühle wandelte die Zeit. Das tief ins Gemüt gesenkte, teure Bild erbleichte nie mehr. An dies geliebte Bild, das höher und immer höher erschien, lehnte sich fort und fort mein Ideal von Männerwert und Hoheit. Hier ruhte ich aus, wenn ich unter dem schweren Leben am Erliegen war, hier ermutigte ich mich, wenn aller Mut sank, hier richtete ich mich auf im Glauben, wenn der Glaube an Menschen schwankte. Glauben Sie mir, ewig geliebter Freund! (Sie verzeihen dem Herzen diese Benennung) ich bin gereift unter großem, mannigfaltigem Schmerz, nicht entadelt, noch je durch unwürdige Empfindungen entweiht. Ew. Exzellenz sind, das erkenne ich im eigenen Busen, noch derselbe, der Sie waren, wie wir uns einst begegneten. Die Höhe des Lebens, der Glanz der äußeren Stellung mögen für viele Klippen sein – hohe Naturen erlangen Reife und Vollendung, gleich viel, ob im Sonnenstrahl des Glücks oder im Schatten schwerer Verhängnisse. Der Gehalt in unserer Brust, wie die Form unseres Geistes, beides ist gewiß ohne Wandel, beides ewig.
Wie es mir erging? was ich erlebte? das werden Sie jetzt fragen. Es ist eine lange Reihe von Jahren, von der die Rede sein muß, dennoch läßt sich viel auf ein Blatt bringen, aber das gibt kein Bild, wird Ihnen nicht genug sein. So will ich suchen, Ihnen im
äußeren
Leben das
innere
in seiner Tiefe und ernsten Entwickelung zu zeigen. Ob und wie ich mich bemühen werde um Kürze, wird es doch einige Blätter füllen, die Auswahl und Zusammenstellung kann nur schmerzlich sein, wenn man sich in Gegenden umsieht, die gleichsam mit unsern Tränen benetzt sind. Wenn ich daher mich nicht so kurz fassen kann, wie es Respekt für die Person und die Zeit des mit den wichtigsten Arbeiten beschäftigten Ministers gebietet, so vertrete mich bei diesem der Jugendfreund. Legen Ew. Exzellenz die Blätter zurück für eine Stunde, die den Erinnerungen gehört.
Die Zeit, bis wo wir uns kennen lernten, gehörte der ersten Jugend, und diese war harmlos im stillen, friedlichen Schatten eines gebildeten, sorgenlosen Familienlebens auf dem Lande hingeflossen. An teuern Eltern hatte ich nur Rechtschaffenheit und Güte und Beispiele vieler Tugenden gesehen. Ein mehr als ausreichendes Vermögen erlaubte ihnen in jener einfachen Zeit viele Annehmlichkeiten des Lebens, besonders auch des häuslichen Lebens; demgemäß war auch die Erziehung ihrer Kinder; sie war vor allem, wofür ich sehr dankbar bin, in sittlicher Hinsicht sehr sorgfältig. Mein Vater, in ziemlich
freier, unabhängiger Lage, indem meine Mutter dem Hause mit
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