Briefe an eine Freundin
habe ich gern einen Brief von Ihnen bei mir, wenn ich selbst schreibe; aber meine Reise hat sich gegen meinen Willen verlängert. Ich bitte Sie, mir jetzt so zu schreiben, daß Ihr Brief den 25. oder nur wenige Tage später in Berlin eintrifft. Leben Sie wohl, beste Charlotte. Mit der herzlichsten und unveränderlichsten Teilnahme der Ihrige. H.
Berlin
, den 28. Januar 1827.
I ch habe, liebste Freundin, Ihre beiden Briefe richtig empfangen, obgleich den ersten vom 20. Dezember v. J. sehr spät, da ich meinen Reiseplan nicht so, wie ich ihn machte, ausgeführt habe, und garnicht nach Hadmarsleben gekommen bin. Er ist mir hierher nachgeschickt worden. Nun bleibe ich bis zur Mitte des Sommers hier und in Tegel, und unser Briefwechsel ist bis dahin gegen Störungen dieser Art gesichert. Es hat mich sehr
gefreut zu sehen, daß Ihre Gesundheit wenigstens leidlich ist, und daß die Veränderlichkeit der Witterung und der viele Sturm, der sonst reizbaren Konstitutionen zu schaffen macht, Ihnen nicht sehr nachteilig geworden ist. Ich liebe den Winter zwar garnicht, und habe von Kindheit an für die angebliche Schönheit eines Wintertages keinen Sinn gehabt. Die Kälte ist mir insofern gleichgültig, als ich mich ihr nie anders als so verwahrt aussetze, daß sie mir nichts anhaben kann, und als ich mir sogar im Zimmer den traurigen und einförmigen Anblick des Schnees durch Gardinen verschließe. In der Stadt ist es mir überhaupt heimlicher, wenn ich von meinem Zimmer aus nichts davon erblicke. Es ist da nur die Nacht schön, wo der Mensch und das gewöhnliche Treiben des Gewühls verschwinden und der gestirnte Himmel den Anblick der reinen Natur gibt. Am Tage freut der Anblick aus dem Fenster nur auf dem Lande. Diese Gewohnheit, mich in der Stadt auf den Genuß der Nacht zu beschränken, habe ich schon sehr früh gehabt. Schon als ganz junger Mensch saß ich, so oft ich die Stadt bewohnen mußte, die Tage über, wenn ich nicht in Gesellschaft war, in meinem Zimmer, durchstrich aber fast regelmäßig, sogar im strengen Winter, mehrere Stundenlang des Nachts die einsamen Straßen. Es freut mich ungemein, daß Sie die gleiche Neigung mit mir für den gestirnten Himmel haben. Wem dieser innere Sinn nicht erschlossen
ist, entbehrt eine sehr große, und eine der reinsten und erhabensten Freuden, die es gibt.
Sie bemerken sehr richtig, daß ein Wintertag doch auch seine Freuden habe. Einförmig ist der Schnee freilich, aber auch rein und wie ein Bild unberührter Fleckenlosigkeit, wenn er frisch gefallen und noch unbetreten ist. In der Schweiz sehen jene weißen Decken an den hohen Gebirgen, die nicht leicht ein Menschenfuß erreicht, sehr schön aus. Ihr Vergleich mit einem Leichentuch ist mir aufgefallen. Er war mir neu. Aber wenn nun der Schnee ein Leichentuch wäre, ist es keine unerwünschte Erinnerung. Die Natur liegt wie in Todesstarrheit im Winter, und wenn die große Natur in ihrem regelmäßig wiederkehrenden Laufe die Erinnerung an den Tod herbeiführt, erscheint er dem Geist und der Einbildungskraft nur wie eine notwendige Verwandlung, eine Enthüllung eines neuen, vorher nicht geahnten Zustandes.
Ich muß mich neulich nicht deutlich ausgedrückt haben, wenn Sie, liebe Charlotte, glauben, ich hätte gewissermaßen bestritten, daß die allwaltende Vorsehung die Schicksale der Menschen auch ganz im einzelnen leite. Auch nach meiner festen Überzeugung kann darauf der Mensch mit Sicherheit bauen, es liegt in der Idee des Weltschöpfers und Welterhalters, es geht aus vielen Stellen der Bibel, des Alten und Neuen Testaments, hervor und ist nicht
nur eine sichere und fest gegründete, sondern auch tiefe und trostreiche Wahrheit, über welche kein Zweifel bleibt, und Sie haben gewiß recht, wenn Sie sagen, der Glückliche bedarf den Glauben, um nicht übermütig zu werden, der nicht Glückliche aber als Halt, und der Unglückliche um nicht zu erliegen. Wenn auch jeder auf seine Weise sich diese göttliche Teilnahme und Fürsorge denkt, so sind das nur unbedeutende Verschiedenheiten der individuellen Ansicht. Die Hauptsache bleibt immer, daß eine Allweisheit und Allgüte die Ordnung der Dinge regiert, zu der wir gehören, daß unsere kleinsten und größten Schicksale darin mit verwebt sind, daß daher alles, was geschieht, gut und uns, sei es auch schmerzhaft, wohltätig sein muß, endlich daß sein Wohlgefallen an uns, und wo nicht aus andern gleich weisen Gründen Ausnahmen eintreten, auch der Segen oder
Weitere Kostenlose Bücher