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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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der Körper einer kleinen schwarzen Frau mit dicken Beinen und einer plumpen Statur. Sie trug ein ehemals weißes Hemd, das nun vor Dreck und Blut starrte. Der Stoff war über der Brust, vornehmlich in der Herzgegend, zerrissen. Jeansshorts bedeckten ihre Beine bis zu den Knien. Ich ließ mich wieder auf alle viere fallen, hielt den Atem an und griff in eine ihrer Taschen. Die Beine fühlten sich breiig und aufgedunsen an, und ich musste mich sehr dazu zwingen, eine Hand in die engen Jeans zu stecken. Nachdem ich in der ersten Tasche nichts gefunden hatte, ging ich um das Loch herum und griff in die andere Tasche. Ich zog einen kleinen Papierstreifen heraus, wie man sie in chinesischen Glückskeksen findet, und ließ mich rückwärts und nach frischer Luft ringend ins Laub fallen. Auf der einen Seite des Zettels stand eine Telefonnummer, auf der anderen: DU BIST DIE EINZIGE BLÜTE DER ERBAUUNG IN DER WILDNIS.
    Nach fünf Minuten hatte ich die Leiche mitsamt der Fahne wieder vergraben. Ich holte einen kleinen Granitbrocken vom Ufer und legte ihn auf das Grab im Dickicht. Dann ging ich zurück ins Haus. Es war 19 Uhr 45 und der Himmel war fast nachtschwarz.
     
    Zwei Stunden später saß ich im Wohnzimmer auf dem Sofa und wählte die Nummer, die auf dem Zettel stand. Alle Türen des Hauses waren verschlossen, die meisten Lampen waren eingeschaltet und in meinem Schoß lag ein kühler, glänzender und makelloser .357er Revolver.
    Aus gutem Grund hatte ich nicht die Polizei angerufen. Die Behauptung, das Blut auf der Frau sei von mir, war vermutlich eine Lüge, doch das Tranchiermesser aus meiner Küche fehlte seit Wochen. Zudem hatte die Suche nach Rita Jones durch die Polizei von Charlotte in den lokalen Zeitungen für solche Schlagzeilen gesorgt, dass allein der Umstand, dass ihre Leiche, ermordet mit meinem Messer, auf dem sich vermutlich meine Fingerabdrücke befanden, auf meinem Grundstück begraben lag, als Beweis ausreichte, um mich einzubuchten. Ich hatte genügend Mordanklagen gelesen, um dessen sicher zu sein.
    Als das Telefon klingelte, starrte ich an die gewölbte Decke meines Wohnzimmers, blickte dann wieder auf den schwarzen Flügel, den ich nie zu spielen gelernt hatte, auf die Marmoreinfassung des Kamins und die merkwürdigen Kunstwerke an den Wänden. Eine Frau namens Karen, mit der ich über zwei Jahre liiert war, hatte mich damals überredet, ein halbes Dutzend Bilder eines kürzlich verstorbenen New Yorker Minimalisten zu erwerben, einem Mann, der seine Arbeiten mit »Loman« signierte. Anfänglich hatte ich für Loman nicht sonderlich viel übrig, doch Karen versprach mir, dass ich ihn eines Tages »verstehen« würde. Inzwischen, um 27 000 Dollar und eine Verlobte ärmer, starrte ich auf die 3 mal 3,50 Meter große Scheußlichkeit, die über der Kamineinfassung hing: eine kackbraune Leinwand mit einem basketballgroßen gelben Kreis in der oberen rechten Ecke. Neben Braun Nr. 2 verunzierten noch weitere vier ähnlich geniale Wunderwerke die Wände meines Hauses, doch diese waren irgendwie erträglicher. Über dem Fuß der Treppe hing Spielzeit, ein 12 000 Dollar teurer Glaskasten, der jede Menge ausgestopfter, zu einem orgiastischen Haufen zusammengenähter Tiere enthielt und mir immer noch die Röte ins Gesicht trieb. Doch ich lächelte, und der Knoten, den ich seit letztem Winter nicht mehr gespürt hatte, verursachte wieder einen stechenden Schmerz in meinen Eingeweiden. Mein Karen-Geschwür. Du bist immer noch hier. Tust mir immer noch weh. Doch wenigstens bist du’s.
    Der zweite Klingelton.
    Ich blickte die Treppe hinauf, die zur Galerie im ersten Stock führte, schloss meine Augen und dachte an eine meiner Partys – lachende, über Bücher und Politik diskutierende Gäste, die meine Stille ausfüllten. Ich sah einen Mann und eine Frau oben stehen, mit den Ellbogen auf die Eichenbrüstung gestützt, wie sie das Wohnzimmer, die Bar und die Küche überblickten. Mit Weingläsern in der Hand winkten sie zu mir herab und lächelten ihrem Gastgeber zu.
    Der dritte Klingelton.
    Mein Blick fiel auf ein Foto meiner Mutter – in einem 13 mal 19 Zentimeter großen bemalten Glasrahmen auf dem schwarz glänzenden Flügel. Das einzige Familienmitglied, zu dem ich regelmäßigen Kontakt pflegte. Obwohl ich im Nordwesten Floridas und auch in Carolina ein paar Verwandte hatte, sah ich sie nur selten – bei Familientreffen, Hochzeiten oder Beerdigungen, zu denen ich meine Mutter begleiten musste. Doch nach

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