Bruderschaft der Kueste
der Terrasse. Es war sanfte Musik eines ihm gänzlich unbekannten Komponisten. Es gelang ihr nicht, etwas in ihm zu bewegen oder sie wirklich zu fühlen. Eigentlich fühlte er gar nichts mehr. Seit er vor einem Monat heimgekehrt war und alle ihn begeistert empfangen hatten, erleichtert, dass er noch lebte, dass ihm nichts Schreckliches widerfahren war, fühlte er sich taub. Es schien, als ob jene Zeit mit Miguel ihn jeder Fähigkeit beraubt hatte, je wieder anderes zu fühlen, als Sehnsucht nach diesem leidenschaftlichen Moment vollkommenen Glücks. Da war nur noch dieses taube Gefühl eines unendlichen Verlustes. Niemand konnte es verstehen. Er konnte mit niemandem darüber reden. Sein Vater hatte wohl bemerkt, dass er sich verändert hatte, ebenso Robert, wie auch einige Freunde, die ihm nahestanden. Natürlich schoben sie es alle auf die Schrecken, die er während seiner Gefangenschaft bei den Piraten erleiden musste. Es war eine gute, passende Ausrede. Die Soldaten seines Vaters suchten die westliche Karibik intensiv und voll Rachegedanken nach Jean Baptiste Ledoux ab. Sein Vater hatte geschworen, ihn eigenhändig im Hafen zu hängen, wenn er seiner habhaft werden konnte. Bisher wusste der Pirat sich gut genug zu verbergen. Die Präsenz der englischen Kriegsschiffe war ohnehin nicht sehr groß. Zwischen den Hunderten von Inseln schien es utopisch, eben jenes Versteck zu finden, wo sich der Bukanier nun verbarg. Die Bruderschaft der Küste wusste ihre Mitglieder gut zu schützen. Robert hatte Simon erzählt, dass die Bukaniere früher oft für ein oder zwei Jahre auf ihren Inseln vom Ackerbau und der Jagd lebten und nur hin und wieder auf Kaperfahrt gingen. Zudem waren sie eine verschworene Gemeinschaft, wo es schwer werden würde, eben jenen zu fangen, der ihn entführt hatte.
Das Musikstück endete. Simon seufzte, stieß sich von der Brüstung ab und ging hinein. Seine vornehme Kleidung erdrückte ihn. Der ganze Prunk ringsum erschien ihm hohl und fade. Es war seine Hochzeit, also sollte er zumindest den Anschein erwecken, dass er glücklich und zufrieden war. Er betrat den Raum, nahm sich ein Glas Wein von einem Tablett und ging schweren Schrittes zu seinem Vater, seiner Braut und deren stolzem Vater zurück. Dies war sein Leben. Das war er. Er hatte diese Rolle immer gespielt. Der andere Simon würde irgendwann verschwinden und mit ihm all die Sehnsüchte, Träume und Wünsche.
„Ah, Simon, da bist du ja“, begrüßte ihn sofort sein Vater. Simon prostete ihm zu, als er sich neben ihn stellte. „Wir wollen gleich beginnen. Der Priester ist schon angekommen und bereit, euch zwei zu eurem Glück zu verhelfen“, fügte er lächelnd hinzu.
Simon gelang ein echt wirkendes Lächeln. Claire strahlte ihn an. Sie war wirklich hübsch: Zart gebaut mit langen, rotbraunen Haaren, einem schmalen Gesicht, mit hohen Wangenknochen und braunen Augen. Er hätte es schlechter treffen können.
„Sie ist wunderschön“, flüsterte ihm sein Vater verzückt zu. „Ihr zwei seid ein wirklich fantastisches Paar.“ Claires Vater nickte eifrig. Die Zufriedenheit über diese lukrative Verbindung war ihm ins Gesicht geschrieben. Simon behielt sein freundliches Lächeln bei.
„Ah, es beginnt“, bemerkte Lord of Fenderwick, als die Musiker erneut ansetzten.
Der Priester kam durch den vollen Saal auf sie zu. Sofort verstummten die Gespräche um sie herum und alles schaute erwartungsvoll zu dem jungen Paar hinauf. Ihre Blicke juckten auf Simons Haut wie Nesselstiche. Wenn sie wüssten, was er getan hatte, wie er sich versündigt hatte ... Wie sähen sie ihn an? Ihre Gesichter waren alle freundlich und wohlwollend auf ihn und seine zukünftige Braut gerichtet. Niemand wird es je erfahren, dachte Simon plötzlich. Es bleibt auf ewig zwischen ihm und mir. Es bleibt auf ewig verloren. Der Gedanke versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, dass er sich fast zusammen krümmte. Plötzlich schienen die Gesichter um ihn her ihn höhnisch anzugrinsen, ihn zu verspotten, waren hohl, bedeutungslos und er sah nur seine schwarzen Augen vor sich. In ihnen brannte ein Feuer, eine Leidenschaft, die er nie wieder sehen und fühlen würde. Das Gefühl des Verlustes wurde übermächtig, sodass sich Simon umdrehte, abrupt sein Glas fallen ließ und aus dem Saal stürzte, vorbei an erstaunten und entsetzten Gesichtern. Hinter sich hörte er seinen Vater rufen und andere laute Stimmen. Simon wollte hinaus, musste fliehen, denn er fühlte, wie er von
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