Bruderschaft der Unsterblichen
„Panik“, sagte er und wortlos brach es aus ihm heraus: Erfreut über meine Fähigkeit, Leute zu manipulieren. Er fuhr fort: „Ich versuchte mir selbst einzureden, daß es nicht meine Schuld gewesen war, daß ich ja gar keinen Grund gehabt hatte anzunehmen, Oliver meine es ernst. Aber es wollte mir nicht gelingen. Oliver war schwul, und Schwule sind per se instabil, nicht wahr? Richtig. Und wenn Oliver sagt, er wolle springen, hätte ich ihn im Grunde genommen nicht dazu auffordern sollen, denn das war genau das, was er brauchte, um über den Rand zu treten.“ Mit Worten sagte Ned: „Ich war einfältig und ein Idiot.“ Unterschwellig aber höre ich: Ich war eine mörderische Hure. Ned sagte: „Dann fragte ich mich, was ich Julian sagen sollte. Ich war in ihren Haushalt gekommen, hatte mit ihnen geflirtet, bis ich das hatte, was ich wollte, ich hatte mich zwischen sie gestellt und im wahrsten Sinn des Wortes Oliver in den Tod getrieben. Zu Hause saß Julian ganz allein, und was sollte ich machen? Mich als Ersatz für Oliver anbieten? Mich ewig um den armen Julian kümmern? Ach, alles war im Eimer, auf schreckliche Weise im Eimer. Gegen vier Uhr morgens erreichte ich das Apartment, und meine Hand zitterte so sehr, daß ich kaum den Schlüssel ins Loch stecken konnte. Ich hatte in Gedanken acht verschiedene Erklärungen durchprobiert, die ich Julian geben wollte. Aber es sollte sich erweisen, daß ich sie gar nicht brauchte.“
„Julian war mit dem Pförtner durchgebrannt“, riet ich.
„Julian hatte sich unmittelbar nach unserer Abfahrt am Freitag die Pulsadern aufgeschnitten“, sagte Ned. „Ich fand ihn in der Badewanne. Er mußte schon mindestens zwölf Stunden tot sein. Begreifst du, Timothy, ich habe sie beide getötet. Begreifst du das? Sie haben mich geliebt, und ich habe sie zerstört. Und seit dieser Zeit trage ich die Schuld mit mir herum.“
„Du fühlst dich schuldig, weil du sie nicht ernst genug genommen hast, als sie ihren Selbstmord angedroht haben?“
„Ich fühlte mich schuldig, die ganze Verantwortung dafür übernommen zu haben, als sie es taten“, sagte Ned.
36. KAPITEL
Oliver
Timothy erschien, als ich gerade ins Bett steigen wollte. Schlurfend kam er herein, machte einen säuerlichen und mürrischen Eindruck, und einen Moment lang wußte ich nicht, warum er überhaupt gekommen war. „Okay“, sagte er, als er sich schwerfällig an der Wand niederplumpsen ließ. „Dann laß es uns mal schnell hinter uns bringen, was?“
„Du siehst verärgert aus.“
„Das stimmt. Ich bin auf diesen ganzen verdammten Scheißhaufen sauer, in dem ich mich wälzen muß.“
„Das kannst du mir nicht zum Vorwurf machen“, sagte ich.
„Tu’ ich das denn?“
„Du hast nicht gerade eine freundliche Miene aufgesetzt.“
„Ich hege im Moment auch keine freundlichen Gefühle, Oliver. Ich würde, verdammt noch mal, am liebsten nach dem Frühstück von hier abhauen. Überhaupt, wie lange sind wir eigentlich schon hier? Zwei Wochen, drei Wochen? Verdammt zu lange, wie lange es auch sein mag. Verdammt zu lange.“
„Du wußtest, daß es seine Zeit brauchen würde, als du dich der Sache angeschlossen hast“, sagte ich. „Es war doch ganz klar, daß die Prüfung kein Schnellschuß sein würde, vier Tage lang, rein und raus. Wenn du jetzt aussteigst, machst du uns anderen alles kaputt. Und vergiß nicht, daß wir geschworen haben …“
„Wir haben geschworen, geschworen, geschworen, geschworen! Lieber Himmel, Oliver, du hörst dich jetzt genau wie Eli an! Machst mich an. Nörgelst an mir herum. Erinnerst mich, daß ich irgend etwas geschworen habe. Mein Gott, wie ich diese ganze tägliche Scheiße hier hasse! Ich komme mir vor, als würdet ihr drei mich wie in einer Zelle gefangenhalten.“
„Also bist du doch sauer auf mich.“
Er zuckte die Achseln. „Ich bin auf alles und jeden sauer. Wahrscheinlich bin ich auf mich selbst am meisten sauer. Darum, daß ich mich überhaupt darauf eingelassen habe. Weil ich nicht den Mut hatte, euch von Anfang an zu sagen, ihr bräuchtet nicht mit mir zu rechnen. Ich dachte, es würde spaßig, deshalb bin ich mitgekommen. Spaßig! Ha!“
„Du glaubst also immer noch, es sei die reine Zeitverschwendung?“
„Du nicht?“
„Ich habe eine andere Haltung“, erklärte ich ihm. „Ich spüre, wie ich mich von Tag zu Tag mehr verändere. Ich vertiefe die Kontrolle über meinen Körper. Weite meinen Sinneshorizont aus. In mir geht etwas
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