Brunetti 02 - Endstation Venedig
er wiederholte: »Lassen Sie sie los.« Diesmal gehorchten sie und ließen ihre Arme los, wobei sie schnell von ihr wegtraten.
»Signora Concetta«, sagte Brunetti. »Woher wußten Sie es?« Die Frage, warum sie es getan hatte, war überflüssig.
Langsam und steif, als täte ihr die Bewegung weh, nahm sie die Arme nach vorn und kreuzte sie über der Brust. »Mein Peppino hat mir alles erzählt.«
»Was hat er Ihnen erzählt, Signora?«
»Daß er dieses Mal genug Geld kriegen würde, damit wir nach Hause fahren könnten. Nach Hause. Es ist so lange her, seit ich zu Hause war.«
»Was hat er Ihnen noch gesagt, Signora? Hat er Ihnen auch etwas von den Bildern erzählt?«
Der Mann mit der Serviette am Hemdkragen unterbrach ihn mit schriller, schneidender Stimme: »Wer Sie auch sind, ich muß Sie warnen. Ich bin Signor Viscardis Anwalt. Und ich warne Sie auch, weil sie dieser Frau Informationen geben. Ich bin Zeuge dieses Verbrechens, und keiner darf mit ihr reden, bevor die Polizei da ist.«
Brunetti warf ihm einen kurzen Blick zu und sah dann auf Viscardi hinunter. »Er braucht keinen Anwalt mehr.« Damit wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Signora Concetta zu. »Was hat Peppino Ihnen erzählt, Signora?«
Sie bemühte sich, deutlich zu sprechen. Immerhin stand die Polizei vor ihr. »Ich wußte alles. Über die Bilder. Und über alles andere. Ich wußte, daß mein Peppino sich mit Ihnen treffen wollte. Er hatte große Angst, mein Peppino. Er hatte Angst vor diesem Mann«, sagte sie, wobei sie auf Viscardi deutete. »Er hat etwas gefunden, das ihm viel Angst gemacht hat.« Sie sah wieder zu Brunetti auf. »Kann ich jetzt gehen, Dottore? Mein Werk ist getan.«
Der Mann mit der Serviette mischte sich wieder ein. »Sie stellen dieser Frau Suggestivfragen, und ich kann das bezeugen.«
Brunetti streckte die Hand aus und faßte Signora Concetta am Ellbogen. »Kommen Sie mit, Signora.« Er nickte Vianello zu, der mit zwei Schritten bei ihm war. »Gehen Sie mit diesem Mann hier, Signora. Er hat ein Boot und bringt Sie zur Questura.«
»Nein, nicht in einem Boot. Ich habe Angst vor Wasser.«
»Es ist ein ganz sicheres Boot, Signora«, beruhigte Vianello sie.
Sie wandte sich an Brunetti. »Kommen Sie auch mit, Dottore?«
»Nein, Signora. Ich muß noch hierbleiben.«
Sie deutete zu Vianello, sprach aber zu Brunetti: »Kann ich ihm trauen?«
»Ja, Signora, Sie können ihm trauen.«
»Schwören Sie?«
»Ja, Signora, ich schwöre es.«
»Va bene, nehmen wir also das Boot.«
Sie ging mit Vianello davon, der sich tief hinunterbeugen mußte, um seine Hand unter ihren Ellbogen zu schieben. Nach zwei Schritten hielt sie an und drehte sich zu Brunetti um. »Dottore?«
»Ja, Signora Concetta?«
»Die Bilder sind in meinem Haus.« Damit wandte sie sich ab und ging weiter mit Vianello aufs Tor zu.
Später sollte Brunetti erfahren, daß sie in den zwanzig Jahren, die sie in Venedig war, nie einen Fuß auf ein Boot gesetzt hatte; wie so viele Menschen aus den sizilianischen Bergen hatte sie eine panische Angst vor dem Wasser, und die hatte sie auch in zwanzig Jahren nicht abgelegt. Aber vorher erfuhr er noch, was sie mit den Bildern gemacht hatte. Als Polizisten an diesem Nachmittag in ihre Wohnung gingen, fanden sie die drei Bilder in Fetzen, zerschnitten mit derselben Schere, mit der sie Brunetti einmal anzugreifen versucht hatte. Diesmal war kein Peppino dagewesen, um sie zurückzuhalten, und sie hatte so gründliche Arbeit geleistet, daß nach dem Wüten ihres Schmerzes nur noch Fetzen von Leinwand und Farbe übriggeblieben waren. Es wunderte Brunetti nicht, als er hörte, daß viele darin den sicheren Beweis für ihre Verrücktheit sahen; jeder konnte einen Menschen umbringen, aber nur eine Verrückte würde einen Guardi zerstören.
Zwei Abende später klingelte nach dem Essen das Telefon, und Paola ging hin. Der Herzlichkeit ihres Tons und dem Lachen zwischen den Sätzen entnahm er, daß sie mit ihren Eltern sprach. Nach fast einer halben Stunde kam sie zu ihm auf die Terrasse und sagte: »Guido, mein Vater möchte dich kurz sprechen.«
Er ging nach drinnen und nahm den Hörer. »Guten Abend«, sagte er.
»Guten Abend, Guido«, sagte der Conte. »Ich habe ein paar Neuigkeiten für dich.«
»Wegen der Müllkippe?«
»Müllkippe?« wiederholte der Conte und vermochte es sogar, Verwirrung in seinen Ton zu legen.
»Die Müllkippe beim Lago di Barcis.«
»Ach, du meinst die Baustelle. Ein privates
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