Brunetti 02 - Endstation Venedig
gerade zwei Jahre abgesessen, Commissario. Vielleicht hatte er sich verändert.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Möglich wäre es immerhin.«
»Das habe ich Sie nicht gefragt, Vianello. Ich wollte wissen, ob Sie glauben, daß er es war.«
»Wenn nicht, wie ist dann der Ausweis des Amerikaners in seine Brieftasche gekommen?«
»Sie glauben es also?«
»Ja. Zumindest halte ich es für möglich. Warum glauben Sie es nicht, Commissario?«
Wegen der Warnung des Conte - Brunetti verstand sie erst jetzt als die Warnung, die sie gewesen war -, was die Verbindung zwischen Gamberetto und Viscardi betraf. Und jetzt verstand er auch, daß Viscardis Drohung nichts mit Brunettis Ermittlungen zu dem Einbruch in seinem Palazzo zu tun gehabt hatte. Sie bezog sich auf seine Ermittlungen zu den Morden an den beiden Amerikanern. Davon sollte er die Finger lassen. Morde, mit denen der arme, einfältige Ruffolo nichts zu tun gehabt hatte, Morde, von denen er jetzt wußte, daß sie nie gesühnt würden.
Seine Gedanken wanderten von den beiden toten Amerikanern zu Ruffolo, der geglaubt hatte, endlich das große Los gezogen zu haben, und vor seiner Mutter mit seinen wichtigen Freunden geprahlt hatte. Er hatte den Einbruch im Palazzo begangen und sogar getan, was dieser wichtige Mann ihm gesagt hatte, nämlich ihn ein bißchen herumgeknufft, obwohl das gar nicht Ruffolos Art war. Wann hatte Ruffolo erfahren, daß Signor Viscardi noch viel mehr auf dem Kerbholz hatte als den Diebstahl seiner eigenen Gemälde? Er hatte von drei Dingen gesprochen, die Brunetti interessieren würden - das mußten die Bilder gewesen sein -, aber in seiner Brieftasche war nur eins gewesen. Wer hatte es da hineinpraktiziert? War Ruffolo irgendwie an den Ausweis des Amerikaners gekommen und hatte ihn behalten, um ihn in seinem Gespräch mit Brunetti als Pfand zu benutzen? Oder noch schlimmer, hatte er versucht, Viscardi mit seinem Wissen zu drohen? Oder war er nur eine ebenso unschuldige wie unwissende Schachfigur gewesen, einer der vielen kleinen Bauern in dem Spiel, die wie Foster und Peters eine Weile benutzt und dann geopfert wurden, wenn sie etwas wußten, was die Hauptfiguren in Bedrängnis bringen konnte? Hatte derselbe, der ihn mit dem Stein erschlagen hatte, ihm den Ausweis des Amerikaners in die Brieftasche gesteckt?
Vianello saß noch immer an seinem Schreibtisch und sah ihn ganz merkwürdig an, aber Brunetti konnte ihm keine Antwort geben, jedenfalls keine, die er glauben würde. Und weil er fast ein Held war, ging er nach oben, schloß die Tür seines Büros hinter sich und sah eine Stunde lang aus dem Fenster. Auf dem Gerüst um San Lorenzo erschienen endlich ein paar Arbeiter, aber was sie taten, konnte man beim besten Willen nicht erkennen. Keiner ging bis aufs Dach, so daß die neuen Ziegel unberührt blieben. Auch hatten sie, wie es aussah, keinerlei Werkzeug bei sich. Sie liefen auf den verschiedenen Ebenen des Gerüsts herum, stiegen die Leitern hinauf und hinunter, kamen zusammen und redeten miteinander, trennten sich wieder und stiegen erneut auf die Leitern. Es ähnelte dem geschäftigen Treiben von Ameisen: das Ganze hatte offenbar einen Sinn, und sei es nur, weil sie so geschäftig waren, aber kein Mensch konnte diesen Sinn erkennen.
Sein Telefon klingelte, und er wandte sich vom Fenster ab, um das Gespräch anzunehmen. »Brunetti.«
»Commissario Brunetti. Hier spricht Maggiore Ambrogiani vom amerikanischen Stützpunkt in Vicenza. Wir haben uns vor einiger Zeit gesprochen, im Zusammenhang mit dem Tod eines Amerikaners in Venedig.«
»Ach ja, Maggiore«, sagte Brunetti nach einer Pause, die gerade die nötige Länge hatte, um Mithörern den Eindruck zu vermitteln, daß er sich nur mühsam an den Maggiore erinnerte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Sie haben schon genug getan, Signor Brunetti, zumindest für meine amerikanischen Kollegen, indem Sie den Mörder dieses jungen Mannes gefunden haben. Ich rufe an, um Ihnen meinen persönlichen Dank auszusprechen, ebenso den Dank der amerikanischen Dienststellen hier auf dem Stützpunkt.«
»Das ist wirklich sehr freundlich, Maggiore. Ich weiß es zu schätzen. Aber es ist doch selbstverständlich, daß wir alles tun, um den USA zu helfen, vor allem ihren amtlichen Vertretungen hier.«
»Sehr schön gesagt, Signor Brunetti. Ich werde es wortwörtlich weitergeben.«
»Ja, tun Sie das, Maggiore. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Vielleicht mir viel Glück wunschen«, sagte
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