Brunetti 18 - Schöner Schein
müssen Vorsicht walten lassen, Brunetti, das verstehen Sie sicher.«
»Selbstverständlich, Signore.«
»Ich habe mit Griffoni gesprochen, und sie bestätigt Ihre Darstellung. Beziehungsweise: Sie bestätigen ihre. Sie hat exakt dasselbe gesagt wie Sie: dass er ihr die Waffe gegeben und dann mit der Faust ausgeholt hat, um sie zu schlagen.«
Brunetti nickte.
»Ich habe vorhin mit ihrem Mann gesprochen«, sagte Patta. Brunetti verbarg seine Überraschung hinter einem Räuspern. »Wir kennen uns seit Jahren«, erklärte Patta. »Lions Club.«
»Verstehe«, sagte Brunetti mit der Bewunderung in der Stimme, die von Nichtmitgliedern erwartet wurde. »Was hat er gesagt?«
»Dass seine Frau in Panik geraten ist, als sie sah, dass Terrasini sie schlagen wollte.« Und mit einer Vertraulichkeit, als habe Brunetti eine Ein-Tages-Mitgliedschaft im Club, setzte Patta hinzu: »Nicht auszumalen, was mit ihrem Gesicht passieren würde, wenn es von einem Faustschlag getroffen wird. Es könnte auseinanderfallen.«
Brunettis Magen krampfte sich vor Zorn zusammen, aber dann erkannte er, dass es Patta vollkommen ernst mit seiner Formulierung war. Und nach kurzem Nachdenken musste er sich eingestehen, dass Patta vermutlich recht hatte.
Patta sprach weiter: »Als er am Boden lag, sah sie, dass er mit einer Hand nach ihrem Bein greifen wollte. Ihr Mann sagt, deshalb habe sie noch einmal geschossen.« Unvermittelt fragte er Brunetti: »Haben Sie das gesehen?«
»Nein, Signore, ich habe die Frau angesehen, und mein Blickwinkel war eher ungünstig.« Das war unlogisch, aber Patta wollte ohnehin glauben, was er gehört hatte, und Brunetti sah keinen Grund, ihn daran zu hindern.
»Genau das hat Griffoni auch gesagt«, bestätigte Patta.
Ein kleines Teufelchen drängte Brunetti zu der Frage: »Was haben Sie und ihr Mann beschlossen, Signore?«
Patta vernahm die Frage, aber nicht die Botschaft, und antwortete: »Ich denke, es ist doch ziemlich klar, was geschehen ist, oder?«
»Ja, Signore. Das denke ich auch«, sagte Brunetti.
»Sie fühlte sich bedroht und hat sich auf die einzig mögliche Weise verteidigt«, erklärte Patta, und plötzlich wusste Brunetti, dass Patta dem Questore dasselbe gesagt hatte. »Und dieser Mann, Antonio Terrasini - ich habe Signorina Elettra gebeten, Informationen über ihn zu besorgen, und wieder einmal ist ihr das mit bemerkenswerter Schnelligkeit gelungen -, ist bereits wegen etlicher Gewalttaten vorbestraft.«
»Ach«, erlaubte sich Brunetti auszurufen. »Aber wird nicht womöglich doch ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet?«
Patta schnippte das weg wie eine lästige Fliege. »Nein, das ist sicher nicht notwendig.« Er schaltete auf einen pathetischen Tonfall um: »Die beiden haben wahrlich genug gelitten.« Der Plural sollte sich wohl auf ihren Ehemann beziehen, und Brunetti konnte dieser Aussage nur zustimmen.
Er stand auf. »Freut mich, dass das geregelt ist«, sagte er.
Patta schenkte ihm sein seltenes Lächeln, und wie immer, wenn er das tat, musste Brunetti innerlich anerkennen, was für ein gutaussehender Mann sein Chef war. »Sie schreiben den Bericht, Brunetti?«
»Selbstverständlich, Signore«, sagte Brunetti, von dem kaum je verspürten Wunsch erfüllt, seinem Vorgesetzten zu gehorchen. »Ich gehe sofort rauf und erledige das.« »Gut«, sagte Patta und zog eine Akte zu sich heran.
Oben wurde Brunetti bewusst, dass er immer noch keinen eigenen Computer hatte, er konnte sich aber nicht dazu aufraffen, deswegen großes Bedauern zu empfinden. Er schrieb seinen Bericht, weder kurz noch lang; bei der Darstellung der Geschehnisse im Casinó beschränkte er sich auf das, was er gesehen hatte, und wies Franca Marinello die passive Rolle einer Frau zu, die hinter Terrasini die Treppe hinuntergegangen war und dessen Waffe in Empfang genommen hatte. Aktiv wurde sie in seinem Bericht erst, als Terrasini die Hand gegen sie erhob. Unerwähnt blieb, dass sie etwas zu Terrasini gesagt und Brunetti auf Ovid angesprochen hatte, und er schrieb auch nichts von seinem Gespräch mit ihr in der Gelateria.
Einmal klingelte sein Telefon. Er nahm ab.
»Bocchese«, meldete sich der Chef der Kriminaltechnik.
»Ja?«, sagte Brunetti und schrieb weiter.
»Man hat mir gerade den Obduktionsbericht über den Mann gemailt, der im Casinó erschossen wurde.«
»Und?«
»Er hatte eine Menge Alkohol im Blut, dazu noch etwas anderes, das sie bis jetzt nicht identifiziert haben. Möglicherweise Ecstasy oder
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