Buddenbrooks
küßte … »Ja, nun heiße ich dich willkommen in unserem Hause und unserer Familie, du liebe, schöne, gesegnete Tochter«, sagte sie. »Du wirst ihn glücklich machen … sehe ich es nicht schon, wie glücklich du ihn machst?« Und sie zog mit dem rechten Arme Thomas herbei, um ihn ebenfalls zu küssen.
Niemals, höchstens vielleicht zu Großvaters Zeiten, war es heiterer und geselliger zugegangen in dem großen Hause, das mit Leichtigkeit die Gäste aufnahm. Nur Pastor Tiburtius hatte aus Bescheidenheit sich im Rückgebäude beim Billardsaale ein Zimmer erwählt; die Übrigen, Herr Arnoldsen, ein beweglicher, witziger Mann am Ende der Fünfziger mit grauem Spitzbart und einem liebenswürdigen élan in jeder Bewegung, seine ältere Tochter, eine leidend aussehende Dame, sein Schwiegersohn, ein eleganter Lebemann, der sich von Christian in der Stadt umher und in den Klub führen ließ, und Gerda verteilten sich in den überflüssigen Räumen zu ebener Erde, bei der Säulenhalle, im ersten Stock …
Antonie Grünlich war froh, daß Sievert Tiburtius zur Zeit der einzige Geistliche im elterlichen Hause war … sie war mehr als froh! Die Verlobung ihres verehrten Bruders, die Thatsache, daß ausgemacht ihre Freundin Gerda die Erwählte war, das Glänzende dieser Partie, die den Familiennamen und die Firma mit neuem Schimmer bestrahlte, die 300 000 Courantmark Mitgift, von der sie hatte munkeln hören, der Gedanke, was die Stadt, was die anderen Familien, was im Besonderen Hagen {321} ströms dazu sagen würden … das alles trug dazu bei, sie in einen Zustand beständiger Entzückung zu versetzen. Dreimal stündlich zum Wenigsten umarmte sie ihre zukünftige Schwägerin mit Leidenschaft …
»Oh, Gerda!« rief sie. »Ich liebe dich, weißt du, ich habe dich immer geliebt! Ich weiß ja, du kannst mich nicht leiden, du hast mich immer gehaßt, aber …«
»Aber ich bitte dich, Tony!« sagte Fräulein Arnoldsen. »Wie sollte ich wohl dazu gekommen sein, dich zu hassen? Darf ich fragen, was du mir eigentlich Gräuliches angethan hast?«
Aus irgendwelchen Gründen jedoch, wahrscheinlich ganz allein aus übermäßiger Freude und bloßer Lust am Reden, beharrte Tony störrisch dabei, daß Gerda sie immer gehaßt habe, daß sie aber ihrerseits – und ihre Augen füllten sich mit Thränen – diesen Haß stets mit Liebe vergolten habe. Hierauf nahm sie Thomas bei Seite und sagte zu ihm:
»Das hast du gut gemacht, Tom, o Gott, wie hast du das gut gemacht! Nein, daß
Vater
dies nicht mehr erlebt … es ist zum Heulen, weißt du! Ja, hiermit wird Manches ausgewetzt … nicht zuletzt die Sache mit jener Persönlichkeit, deren Namen ich nicht gern in den Mund nehme …« Worauf es ihr einfiel, Gerda in ein leeres Zimmer zu ziehen und ihr ihre ganze Ehe mit Bendix Grünlich in fürchterlicher Ausführlichkeit zu erzählen. Auch plauderte sie lange Stunden mit ihr von der Pensionszeit, von ihren abendlichen Gesprächen damals, von Armgard von Schilling in Mecklenburg und Eva Ewers in München … Um Sievert Tiburtius und seine Verlobung mit Clara bekümmerte sie sich beinahe gar nicht; aber die Beiden trachteten auch nicht danach. Sie saßen meist stille Hand in Hand und sprachen sanft und ernst von einer schönen Zukunft.
Da das Trauerjahr der Buddenbrooks noch nicht abgelaufen war, so wurden die beiden Verlobungen nur in der Familie gefeiert; Gerda Arnoldsen aber war dennoch rasch genug be {322} rühmt in der Stadt, ja, ihre Person bildete den hauptsächlichen Gesprächsstoff an der Börse, im Klub, im Stadttheater, in Gesellschaft … »Tip-top«, sagten die Suitiers und schnalzten mit der Zunge, denn das war der neueste Hamburgische Ausdruck für etwas auserlesen Feines, handelte es sich nun um eine Rotweinmarke, um eine Cigarre, um ein Diner, oder um geschäftliche »Bonität«. Aber unter den soliden, biederen und ehrenfesten Bürgern waren Viele, die den Kopf schüttelten … »Sonderbar … diese Toiletten, dieses Haar, diese Haltung, dieses Gesicht … ein bißchen reichlich sonderbar.« Kaufmann Sörensen drückte es aus: »Sie hat ein bißchen was Gewisses …« und dabei wand er sich und machte ein krauses Gesicht, wie wenn ihm an der Börse eine faule Offerte gemacht wurde. Aber es war Konsul Buddenbrook … es sah ihm ähnlich. Ein bißchen prätentiös, dieser Thomas Buddenbrook, ein bißchen … anders: Anders auch als seine Vorfahren. Man wußte, besonders der Tuchhändler Benthien
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