Buddenbrooks
nach dem Neujahrstage 1859 ward die Hoffnung zur Gewißheit, daß Tony zum zweiten Male Mutter werden sollte.
Die Freude zitterte nun gleichsam in ihren Briefen, die so voll von übermütigen, kindlichen und gewichtigen Redewendungen waren, wie lange nicht mehr. Die Konsulin, welche, abgesehen von ihren Sommerfahrten, die sich übrigens mehr und mehr auf den Ostseestrand beschränkten, das Reisen nicht mehr liebte, bedauerte, ihrer Tochter in dieser Zeit fern bleiben zu müssen und versicherte sie nur schriftlich des göttlichen Beistandes; Tom aber sowohl wie Gerda meldeten sich zur Taufe an, und Tonys Kopf war erfüllt von Plänen in Betreff eines
vornehmen
Empfanges … Arme Tony! Dieser Empfang sollte sich unendlich traurig gestalten, und diese Taufe, die ihr als ein entzückendes kleines Fest mit Blumen, Konfekt und Chokolade vor Augen geschwebt hatte, sollte überhaupt nicht stattfinden, – denn das Kind, ein kleines Mädchen, sollte nur ins Leben treten, um nach einer armen Viertelstunde, während welcher der Arzt sich vergeblich bemühte, den unfähigen kleinen Organismus in Gang zu halten, dem Dasein schon nicht mehr anzugehören …
Konsul Buddenbrook und seine Gattin fanden, als sie in München eintrafen, Tony selbst nicht außer Gefahr. Weit {405} schwerer, als das erste Mal, lag sie danieder, und während mehrerer Tage verweigerte ihr Magen, an dessen nervöser Schwäche sie schon vorher hie und da gelitten hatte, die Annahme fast jeder Nahrung. Indessen, sie genas, und die Buddenbrooks konnten in dieser Beziehung beruhigt abreisen, – wenn auch andererseits nicht ohne Nachdenklichkeit, denn es hatte sich ihnen allzu deutlich gezeigt und besonders der Beobachtung des Konsuls war es nicht entgangen, daß nicht einmal das gemeinsame Leid imstande gewesen war, die beiden Gatten einander erheblich zu nähern.
Nichts gegen Herrn Permaneders gutes Herz … Er war aufrichtig erschüttert gewesen, dicke Thränen waren angesichts seines leblosen Kindes aus den verquollenen Äuglein über die zu aufgetriebenen Wangen in den ausgefransten Schnauzbart geflossen, und er hatte mehrere Male mit schwerem Seufzen hervorgebracht: »Es is halt a Kreiz! A Kreiz is'! O mei!« Aber seine »G'müatlichkeit« hatte nach Tonys Begriffen nicht lange genug darunter gelitten, seine Abendstunden im Hofbräuhaus hatten ihn bald darüber hinweggebracht, und mit dem bequemen, gutmütigen, ein bißchen mürrischen und ein bißchen stumpfsinnigen Fatalismus, der in seinem »Es is halt a Kreiz!« enthalten war, »wurstelte« er fort.
Tonys Briefe aber verloren von nun an nicht mehr den Ton von Hoffnungslosigkeit und selbst von Anklage … »Ach, Mutter«, schrieb sie, »was kommt auch Alles auf mich herab! Erst Grünlich und der Bankerott und dann Permaneder als Privatier und dann das tote Kind. Womit habe ich soviel Unglück verdient!«
Der Konsul, zu Hause, wenn er solche Äußerungen las, konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, denn trotz alles Schmerzes, der in den Zeilen steckte, verspürte er einen Unterton von beinahe drolligem Stolz, und er wußte, daß Tony Buddenbrook als Madame Grünlich sowohl wie als Madame Permaneder im {406} mer ein Kind blieb, daß sie alle ihre sehr erwachsenen Erlebnisse fast ungläubig, dann aber mit kindlichem Ernst, kindlicher Wichtigkeit und – vor Allem – kindlicher Widerstandsfähigkeit erlebte.
Sie begriff nicht, womit sie Leid verdient habe; denn, obgleich sie sich über die große Frömmigkeit ihrer Mutter moquierte, war sie selbst so voll davon, daß sie an Verdienst und Gerechtigkeit auf Erden inbrünstig glaubte … arme Tony! Der Tod ihres zweiten Kindes war weder der letzte noch der härteste Schlag, der sie treffen sollte …
Als das Jahr 1859 sich zu Ende neigte, geschah etwas Fürchterliches …
9.
Es war ein Tag gegen Ende des November, ein kalter Herbsttag mit dunstigem Himmel, der beinahe schon Schnee versprach, und wallendem Nebel, den hie und da die Sonne durchdrang, einer von den Tagen, an denen in der Hafenstadt der scharfe Nord-Ost mit einem tückischen Pfeifen um die massigen Ekken der Kirchen sauste und eine Lungenentzündung wohlfeil zu haben war.
Als gegen Mittag Konsul Thomas Buddenbrook ins »Frühstückszimmer« trat, fand er seine Mutter, die Brille auf der Nase, am Tische über ein Papier gebeugt.
»Tom«, sagte sie, indem sie ihn anblickte und das Papier mit beiden Händen beiseite hielt, als zögere sie, es ihm zu zeigen … »Erschrick
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