Buddenbrooks
ist geschehen?«
Aber man mußte sich mit Geduld waffnen, denn es dauerte noch ziemlich lange, bis dieser Frage eine Antwort zuteil wurde.
»Mutter«, brachte Frau Permaneder hervor … »Mama!« Allein dabei blieb es.
Die Konsulin erhob den Kopf nach der Glasthür, und während sie mit einem Arm ihre Tochter umfing, streckte sie die freie Hand ihrer Enkelin entgegen, die dort, einen Zeigefinger am Munde, verlegen stand.
»Komm, Kind; komm her und sage guten Tag. Du bist groß geworden und siehst frisch und wohl aus, wofür wir Gott danken wollen. Wie alt bist du nun, Erika?«
»Dreizehn, Großmama« …
»Dausend! Eine Dame …«
Und über Tonys Kopf hinweg küßte sie das kleine Mädchen, worauf sie fortfuhr:
»Geh' nun mit Ida hinauf, mein Kind, wir werden bald essen. Aber jetzt hat Mama mit mir zu reden, weißt du.«
Sie blieben allein.
»Nun, meine liebe Tony? Willst du nicht aufhören, zu weinen? Wenn Gott uns eine Prüfung schickt, so sollen wir sie mit {410} Fassung ertragen. Nimm dein Kreuz auf dich, heißt es … Aber hast du vielleicht den Wunsch, ebenfalls erst hinaufzugehen, ein wenig zu ruhen und dich zu erfrischen und dann zu mir herunterzukommen? Unsere gute Jungmann hat dein Zimmer vorbereitet … Ich danke dir für dein Telegramm. Es hat uns recht sehr erschreckt …« Sie unterbrach sich, denn Laute drangen bebend und gedämpft aus ihren Kleiderfalten hervor:
»Er ist ein verworfener Mensch … ein verworfener Mensch ist er … ein verworfener …«
Über dieses starke Wort kam Frau Permaneder nicht hinweg. Es schien sie völlig zu beherrschen. Sie preßte ihr Gesicht dabei fester in den Schoß der Konsulin und machte neben dem Stuhle sogar eine Faust.
»Solltest du etwa deinen Mann damit meinen, mein Kind?« fragte die alte Dame nach einer Pause. »Ich sollte nicht auf diesen Gedanken kommen, ich weiß es; aber es bleibt mir nichts anderes zu denken übrig, Tony. Hat Permaneder dir Leid zugefügt? Hast du dich über ihn zu beklagen?«
»Bábett …!« stieß Frau Permaneder hervor … »Bábett …!«
»Babette?« wiederholte die Konsulin fragend … Dann lehnte sie sich zurück und ließ ihre hellen Augen durchs Fenster schweifen. Sie wußte nun, um was es sich handelte. Eine Pause trat ein, die dann und wann von Tonys allmählich seltener werdendem Schluchzen unterbrochen ward.
»Tony«, sagte die Konsulin nach einer Weile, »ich sehe nun, daß dir in der That ein Kummer zugefügt worden ist … daß dir Grund zur Klage gegeben wurde … Aber war es nötig, diese Klage so stürmisch zu äußern? War diese Reise von München hieher notwendig, zusammen mit Erika, sodaß es für weniger verständige Leute, als ich und du, beinahe den Anschein haben könnte, als wolltest du niemals zu deinem Manne zurückkehren …?«
»Das will ich auch nicht! … Nie …!« rief Frau Permaneder, {411} indem sie mit einem Ruck den Kopf erhob, ihrer Mutter aus weinenden Augen ganz wild ins Gesicht blickte und dann ebenso plötzlich ihr Antlitz wieder in den Kleiderfalten verbarg. Die Konsulin überhörte diesen Ausruf.
»– Nun aber«, setzte sie mit erhöhter Stimme ein und wandte langsam ihren Kopf von einer Seite zur anderen … »nun aber, da du hier bist, ist es gut so. Denn nun wirst du dein Herz erleichtern können und wirst mir Alles erzählen und dann wollen wir sehen, wie mit Liebe, Nachsicht und Bedacht der Schaden zu korrigieren ist.«
»Nie!« sagte Tony noch einmal. »Nie!« Aber dann erzählte sie, und obgleich man nicht jedes Wort verstand, denn sie sprach in den faltigen Tuchrock der Konsulin hinein, und ihr Bericht war explosiv und von Ausrufen der äußersten Entrüstung zerrissen, so ward doch klar, daß ganz einfach folgender Sachverhalt bestand.
Um die Mitternacht zwischen dem 24. und 25. des laufenden Monates war Madame Permaneder, die während des Tages an Störungen der Magennerven gelitten und sehr spät Ruhe gefunden hatte, aus einem leichten Schlummer geweckt worden. Ein anhaltendes Geräusch dort vorn an der Treppe war schuld daran gewesen, ein schlecht unterdrückter, geheimnisvoller Lärm, in dem man das Knarren der Stufen, ein hustendes Gekicher, gepreßte Worte der Abwehr und ganz sonderbare knurrende und ächzende Laute unterschied … Nicht einen Augenblick konnte man über das Wesen dieses Geräusches im Zweifel sein. Frau Permaneder hatte nicht sobald, mit noch schlaftrunknen Sinnen, etwas davon aufgefangen, als sie es auch schon
Weitere Kostenlose Bücher