Buddenbrooks
dem das Kind nach der Hochzeitsfeier von ihm Abschied genommen und ihn gefragt hatte: »Bist du mit mir zufrieden?« da mußte er einem ziemlich niederdrückenden Schuldbewußtsein seiner Tochter gegenüber Raum geben und sich sagen, daß diese Sache ganz und gar durch ihren Willen entschieden werden müsse. Er wußte wohl, daß sie in diese Verbindung nicht aus Gründen der Liebe gewilligt hatte, aber er rechnete mit der Möglichkeit, daß diese vier Jahre, die Gewöhnung und die Geburt des Kindes Vieles verändert haben konnten, daß Tony sich jetzt ihrem Manne mit Leib und Seele verbunden fühlen und aus guten christlichen und weltlichen Gründen jeden Gedanken an eine Trennung zurückweisen konnte. In diesem Falle, überlegte der Konsul, müsse er sich zur Hergabe jeder Geldsumme bequemen. Zwar verlangten Christenpflicht und Frauenwürde, daß Tony ihrem angetrauten Gatten bedingungslos auch ins Unglück folgte; wenn sie aber thatsächlich diesen Entschluß an den Tag legen würde, so fühlte er sich nicht berechtigt, sie fortan alle die Verschönerungen und Bequemlichkeiten des Lebens, an die sie von Kindesbeinen an gewöhnt war, unverschuldet entbehren zu lassen … so fühlte er sich verpflichtet, eine Katastrophe zu verhüten und B. Grünlich um jeden Preis zu halten. Kurz, das Ergebnis seiner Erwägungen war der Wunsch gewesen, seine Tochter mitsamt ihrem Kinde zu sich zu nehmen und Herrn Grünlich seiner Wege gehen zu lassen. Mochte Gott dies Äußerste verhüten! Für jeden Fall bewegte er den Rechtsparagraphen bei sich, der bei bestehender Unfähigkeit des Gatten, Frau und Kinder zu ernähren, zur Scheidung berechtigte. Vor Allem aber mußte er die Ansichten seiner Tochter erforschen …
»Ich sehe«, sagte er, indem er fortfuhr, zärtlich ihr Haar zu streicheln, »ich sehe, mein liebes Kind, daß du von guten und lobenswerten Grundsätzen beseelt bist. Allein … ich kann {234} nicht annehmen, daß du die Dinge betrachtest, wie sie, Gott sei's geklagt, betrachtet werden müssen: nämlich als Thatsachen. Ich habe dich nicht gefragt, was du in diesem oder jenem Falle vielleicht thun
würdest
, sondern was du jetzt, heute, sogleich thun
wirst
. Ich weiß nicht, inwiefern du die Verhältnisse kennst oder ahnst … ich habe also die traurige Pflicht, dir zu sagen, daß dein Mann sich genötigt sieht, seine Zahlungen einzustellen, daß er sich geschäftlich nicht mehr halten kann … ich glaube, du verstehst mich …«
»Grünlich macht Bankerott …?« fragte Tony leise, indem sie sich halb von ihren Kissen erhob und rasch des Konsuls Hand ergriff …
»Ja, mein Kind«, sagte er ernst. »Du vermutetest das nicht?«
»Ich habe nichts Bestimmtes vermutet …« stammelte sie. »Dann hat Kesselmeyer also nicht Spaß gemacht …?« fuhr sie fort, indem sie schräg vor sich hin auf den braunen Teppich starrte …
»O Gott!«
stieß sie plötzlich hervor und sank auf ihren Sitz zurück. Erst in diesem Augenblick ging Alles vor ihr auf, was in dem Worte »Bankerott« verschlossen lag, Alles, was sie schon als kleines Kind dabei an Vagem und Fürchterlichem empfunden hatte … »Bankerott« … das war etwas Gräßlicheres als der Tod, das war Tumult, Zusammenbruch, Ruin, Schmach, Schande, Verzweiflung und Elend … »Er macht Bankerott!« wiederholte sie. Sie war dermaßen geschlagen und niedergeschmettert von diesem Schicksalswort, daß sie an keine Hülfe dachte, auch nicht an eine, die von ihrem Vater kommen könnte.
Er betrachtete sie mit emporgezogenen Brauen, mit seinen kleinen, tiefliegenden Augen, die traurig und müde aussahen und dennoch eine ganz außerordentliche Spannung verrieten.
»Ich fragte dich also«, sagte er sanft, »meine liebe Tony, ob du dich bereit hältst, deinem Manne auch in die Armut hinein zu folgen? …« Gleich darauf gestand er sich, daß er das harte Wort {235} »Armut« instinktiv als Abschreckungsmittel gewählt habe und fügte hinzu: »Er kann sich wieder emporarbeiten …«
»Gewiß, Papa«, antwortete Tony. Aber das hinderte nicht, daß sie in Thränen ausbrach. Sie schluchzte in ihr Battisttüchlein, das mit Spitzen besetzt war und das Monogramm AG trug. Sie hatte noch völlig ihr Kinderweinen: ganz ungeniert und ohne Ziererei. Ihre Oberlippe machte einen unaussprechlich rührenden Eindruck dabei.
Ihr Vater fuhr fort, sie mit den Augen zu prüfen. »Das ist dein Ernst, mein Kind?« fragte er. Er war genau so ratlos wie sie.
»Muß ich nicht …«
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