Buddenbrooks
schluchzte sie. »Ich muß doch …«
»Durchaus nicht!« sagte er lebhaft; aber schuldbewußt verbesserte er sich sofort: »Ich würde dich nicht unbedingt dazu zwingen, meine liebe Tony. Gesetzt den Fall, daß deine Gefühle dich nicht unverbrüchlich an deinen Mann fesselten …«
Sie sah ihn mit in Thränen schwimmenden und verständnislosen Augen an.
»Wieso, Papa …?«
Der Konsul wand sich ein wenig hin und her und fand ein Auskunftsmittel.
»Mein gutes Kind, du kannst glauben, daß ich es sehr schmerzhaft empfinden würde, dich all den Unbilden und Peinlichkeiten aussetzen zu müssen, die durch das Unglück deines Mannes, durch die Auflösung des Geschäftes und deines Hausstandes unmittelbar werden herbeigeführt werden … Ich habe den Wunsch, dich diesen ersten Unannehmlichkeiten zu entziehen und dich sowie unsere kleine Erika vorderhand zu uns nach Hause zu nehmen. Ich glaube, daß du mir das danken wirst …?«
Tony schwieg einen Augenblick, während dessen sie ihre Thränen trocknete. Sie hauchte umständlich auf ihr Taschentuch und drückte es gegen die Augen, um die Entzündung zu verhüten. Hierauf fragte sie in entschiedenem Tone, ohne die Stimme zu erheben:
{236} »Papa:
ist
Grünlich schuldig!
kommt
er aus Leichtsinn und Unredlichkeit ins Unglück!«
»Höchst wahrscheinlich! …« sagte der Konsul. »Das heißt … nein, ich weiß es nicht, mein Kind. Ich sagte dir, daß die Auseinandersetzung mit ihm und seinem Bankier noch aussteht …«
Tony schien auf diese Antwort gar nicht geachtet zu haben. Gebückt auf ihren drei seidenen Kissen stützte sie den Ellenbogen auf das Knie und das Kinn in die Hand und blickte mit tiefgesenktem Kopfe versunken und träumerisch von unten herauf ins Zimmer hinein.
»Ach, Papa«, sagte sie leise und beinahe ohne die Lippen zu bewegen, »wäre es damals nicht besser gewesen …«
Der Konsul konnte ihr Gesicht nicht sehen; aber es trug den Ausdruck, der an manchem Sommerabend, wenn sie zu Travemünde an dem Fenster ihres kleinen Zimmers lehnte, darauf gelegen hatte … Ihr einer Arm ruhte auf den Knieen ihres Vaters, während die Hand schlaff und ohne Stütze nach unten hing. Selbst diese Hand drückte eine unendlich wehmütige und zärtliche Hingebung aus, eine erinnerungsvolle und süße Sehnsucht, die in die Ferne schweifte.
»Besser …?« fragte Konsul Buddenbrook. »Wenn was nicht geschehen wäre, mein Kind?«
Er war von Herzen zu dem Geständnis bereit, daß es besser gewesen wäre, diese Ehe nicht zu schließen; aber Tony sagte nur mit einem Seufzer:
»Ach, nichts!«
Es schien, daß ihre Gedanken sie fesselten, daß sie weit abseits weilte und den »Bankerott« beinahe vergessen hatte. Der Konsul sah sich genötigt, selbst auszusprechen, was er lieber nur bestätigt hätte.
»Ich glaube deine Gedanken zu erraten, liebe Tony«, sagte er, »und auch ich meinerseits, ich zögere nicht, dir zu bekennen, {237} daß ich den Schritt, der mir vor vier Jahren als klug und heilsam erschien, in dieser Stunde bereue … aufrichtig bereue. Ich glaube, vor Gott nicht schuldig zu sein. Ich glaube, meine Pflicht gethan zu haben, indem ich mich bemühte, dir eine deiner Herkunft angemessene Existenz zu schaffen … Der Himmel hat es anders gewollt … du wirst von deinem Vater nicht glauben, daß er damals leichtfertig und unüberlegt, dein Glück aufs Spiel gesetzt hat! Grünlich trat mit mir in Verbindung, versehen mit den besten Empfehlungen, ein Pastorssohn, ein christlicher und weltläufiger Mann … Später habe ich geschäftliche Erkundigungen über ihn eingezogen, die so günstig lauteten, als möglich. Ich habe die Verhältnisse geprüft … Das Alles ist dunkel, dunkel und harrt noch der Aufklärung. Aber nicht wahr, du klagst mich nicht an …«
»Nein, Papa! wie kannst du dergleichen sagen! Komm, laß es dir nicht zu Herzen gehen, armer Papa … Du siehst blaß aus, soll ich nicht ein paar Magentropfen herunterholen?« Sie hatte ihre Arme um seinen Hals gelegt und küßte ihn auf die Wangen.
»Ich danke dir«, sagte er; »so, so … laß nur, ich danke dir. Ja, ich habe angreifende Tage hinter mir … Was soll man thun? Ich habe viel Ärgernis gehabt. Das sind Prüfungen von Gott. Aber das hindert nicht, daß ich mich dir gegenüber nicht ganz ohne Schuld fühlen kann, mein Kind. Alles kommt jetzt auf die Frage an, die ich dir schon vorgelegt habe, die du mir aber noch nicht hinlänglich beantwortet hast. Sprich offen zu
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