Buddenbrooks
mir, Tony … hast du in diesen Jahren der Ehe deinen Mann lieben gelernt?«
Tony weinte aufs Neue, und indem sie mit beiden Händen, in denen sie das Battisttüchlein hielt, ihre Augen bedeckte, brachte sie unter Schluchzen hervor:
»Ach … was fragst du, Papa! … Ich habe ihn niemals geliebt … er war mir immer widerlich … weißt du das denn nicht …?«
Es wäre schwer, zu sagen, was auf dem Gesichte Johann {238} Buddenbrooks sich abspielte. Seine Augen blickten erschrokken und traurig, und dennoch kniff er die Lippen zusammen, sodaß Mundwinkel und Wangen sich falteten, wie es zu geschehen pflegte, wenn er ein vorteilhaftes Geschäft zum Abschluß gebracht hatte. Er sagte leise:
»Vier Jahre …«
Tonys Thränen versiegten plötzlich. Das feuchte Taschentuch in der Hand, richtete sie sich auf ihrem Sitze empor und sagte zornig:
»Vier Jahre … ha! manchmal hat er abends bei mir gesessen und die Zeitung gelesen in diesen vier Jahren …!«
»Gott hat euch beiden ein Kind geschenkt …« sagte der Konsul bewegt.
»Ja, Papa … und ich habe Erika sehr lieb … obgleich Grünlich behauptet, ich sei nicht kinderlieb … Ich würde mich nie von ihr trennen, das sage ich dir … aber Grünlich – nein! … Grünlich – nein! … Nun macht er auch noch Bankerott! … Ach Papa, wenn du mich und Erika nach Hause nehmen willst … mit Freuden! Nun weißt du es!«
Der Konsul kniff wiederum die Lippen zusammen; er war äußerst zufrieden. Immerhin mußte der Hauptpunkt noch berührt werden, aber bei der Entschlossenheit, die Tony an den Tag legte, riskierte man wenig damit.
»Bei alledem«, sagte er, »scheinst du völlig zu vergessen, mein Kind, daß ja Hilfe denkbar wäre … und zwar durch mich. Dein Vater hat dir bereits bekannt, daß er sich dir gegenüber nicht unbedingt schuldlos fühlen kann, und in dem Falle … nun, in dem Falle, daß du es von ihm erhoffst … erwartest … würde er einspringen, würde er das Falliment verhüten, würde er die Schulden deines Mannes wohl oder übel decken und sein Geschäft flott erhalten …«
Er prüfte sie gespannt, und ihr Mienenspiel erfüllte ihn mit Genugthuung. Es drückte Enttäuschung aus.
{239} »Um wieviel handelt es sich eigentlich?« fragte sie.
»Was thut das zur Sache, mein Kind … um eine große, große Summe!« Und Konsul Buddenbrook nickte einigemale mit dem Kopfe, als ob die Wucht des Gedankens an diese Summe ihn langsam hin und her schüttelte. »Dabei«, fuhr er fort, »darf ich dir nicht verhehlen, daß die Firma, ganz abgesehen von dieser Sache, Verluste erlitten hat, und daß die Hergabe dieser Summe eine Schwächung für sie bedeuten würde, von der sie sich schwer … schwer wieder erholen könnte. Ich sage das keineswegs, um …«
Er vollendete nicht. Tony war aufgesprungen, sie war sogar ein paar Schritte zurückgetreten und, noch immer das nasse Spitzentüchlein in der Hand, rief sie:
»Gut! Genug! Nie!«
Sie sah beinahe heroisch aus. Das Wort »Firma« hatte eingeschlagen. Höchst wahrscheinlich wirkte es entscheidender, als selbst ihre Abneigung gegen Herrn Grünlich.
»Das thust du
nicht
, Papa!« redete sie ganz außer sich fort. »Willst auch du noch Bankerott machen? Genug! Niemals!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Korridorthür ein wenig zögernd, und Herr Grünlich trat ein.
Johann Buddenbrook erhob sich mit einer Bewegung, welche ausdrückte:
Erledigt.
8.
Herrn Grünlichs Gesicht war rot gefleckt, aber er war aufs Sorgfältigste gekleidet. Er trug einen ähnlichen schwarzen, faltigen, soliden Leibrock, ähnliche erbsenfarbene Beinkleider, wie diejenigen, in denen er einstmals in der Mengstraße seine ersten Visiten gemacht. In einer schlaffen Haltung blieb er stehen und sprach, den Blick zu Boden gerichtet, mit weicher und matter Stimme:
{240} »Vater …«
Der Konsul verbeugte sich kalt und ordnete dann mit einigen energischen Griffen seine Halsbinde.
»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind«, setzte Herr Grünlich hinzu.
»Das war meine Pflicht, mein Freund«, erwiderte der Konsul; »nur fürchte ich, daß es das Einzige bleiben wird, was ich in Ihrer Sache zu thun vermag.«
Sein Schwiegersohn warf ihm einen hastigen Blick zu und nahm dann eine noch schlaffere Haltung an.
»Ich höre«, fuhr der Konsul fort, »daß Ihr Bankier, Herr Kesselmeyer, uns erwartet … welchen Ort haben Sie für die Unterredung bestimmt? Ich stehe zu Ihrer Verfügung …«
»Ich bitte
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