Bullenpeitsche: Kriminalroman (Droemer) (German Edition)
in seine Lungen und muss ein bisschen husten.
»Dann ist er durch den Park abgehauen.«
»Und?«, frage ich.
»Was, und?«
»Wie geht’s Ihnen so?«
Er lässt die Hand sinken, in der er die Zigarette hält, er lässt die Regentropfen auf seinen Kopf fallen, er lässt die Schultern hängen, er sagt:
»Da will ich nicht drüber nachdenken.«
»Kannten Sie die beiden?«, frage ich.
Er schüttelt den Kopf.
»Nein. Aber darum geht’s ja auch nicht.«
Natürlich nicht. Es geht darum, dass die beiden einfach nur ihren Job gemacht haben und dabei absolut mitleidlos umgemäht wurden. Zack, tot, vorbei, Leben beendet, innerhalb von Sekunden. Eine junge Frau, die eine Familie hinterlässt, und ein Mann, der seine Ruhe vor sich hatte. Ausradiert. Und was bleibt, sind Tränen. Der Calabretta will nicht drüber reden, das sehe ich ihm an.
»Wieso waren die Kollegen überhaupt da?«, frage ich und rücke ein Stückchen näher an ihn ran, aber so, dass er’s nicht merkt.
»Ein Spaziergänger hatte bei der Polizei angerufen«, sagt der Calabretta. »Der mutmaßliche Täter hat sich wohl auffällig und ziemlich nervig verhalten. Hat Leute bepöbelt und sie angeschrien, sie sollen abhauen und so.«
»Haben wir den Spaziergänger?«, frage ich.
Der Calabretta schüttelt den Kopf.
»Leider nicht. Er hat von einer Telefonzelle aus angerufen und wollte seinen Namen nicht sagen. Lassen Sie uns mal hören, was die Zeugin so drauf hat.«
Er zieht nochmal an seiner Zigarette und raucht sich aus Versehen in die Augen. Er schüttelt den Qualm ab, murmelt irgendwas vor sich hin und drückt die Kippe an seiner nassen Schuhsohle aus. Er steckt den Rest in seine Jackentasche und geht rüber zu den Kollegen Schulle und Brückner. Ich rauche weiter und komme mit.
Die Frau in dem silbernen Mantel ist von einer Eleganz durchdrungen, die ich an mir so nie erleben werde. Und auch an niemandem, den ich kenne, außer natürlich am Inceman. Die Frau kommt aus echt gutem Stall. Elbvorortegewächs. Die jungen Leute bei uns im Viertel nennen so was: Elbschleiche. Oder Perlenohrring. Polizisten nennen sie Schnittlauch, aber da finde ich Perlenohrring auf jeden Fall schlimmer.
Sie ist zurückhaltend, aber unübersehbar geschminkt, ein bisschen Rouge, ein bisschen Lippenstift, ein bisschen alles, und das in zartem Rosenholz.
Der Calabretta stellt mich vor, sie gibt mir freundlich die Hand, aber sie lässt mich unerbittlich spüren, dass sie es unmöglich findet, wenn Staatsanwältinnen an Tatorten in Jogginghosen auftauchen und rauchen und so ein Gesicht machen und haben und überhaupt. So schnell es die Etikette erlaubt, wendet sie sich wieder den netten blonden Herren in den hanseatischen Mänteln zu.
»Wissen Sie, ich glaube wirklich, der Mann stand unter Drogen. Ach was, ich bin mir da ganz sicher. Drogen. Definitiv. Der war ja ganz außer sich.«
»Von wo genau haben Sie ihn nochmal beobachtet?«, fragt der Calabretta.
»Na, von meinem Platz aus«, sagt sie, »da hinten auf der Mole.« Sie bekommt einen eigentümlichen Gesichtsausdruck. Versucht wohl, ihre Stirn in Falten zu legen. Geht aber nicht so gut. Die Stirn sieht aus, als stünde sie schon seit sehr langer Zeit unter dem Einfluss von Nervengift.
»Die Mole ist übrigens gesperrt«, sagt der Schulle, »da darf man gar nicht rauf.«
»Das ist mein Platz, seit ich denken kann«, sagt sie. »Da hab ich freie Sicht auf meine Schiffe.«
Mein Platz. Meine Schiffe. Coole Haltung.
Der Calabretta kuckt den Schulle an. »Haben wir alles?«
Der Schulle nickt.
»Gut«, sagt der Calabretta, und zu der Frau im silbernen Regenmantel sagt er: »Vielen Dank. Wir melden uns nochmal bei Ihnen.«
Sie wirkt ein bisschen beleidigt, dass sie nicht mehr gebraucht wird, zieht die Augenbrauen hoch, sagt »na dann« und macht sich strammen Schrittes wieder auf den Weg zu ihrer Mole. Fünf Minuten später steht sie kerzengerade auf dem halb verfallenen Steinwall und lässt huldvoll die Schiffe vorüberziehen. Manchmal winkt sie. Der Regen hat zwischen den Menschen und den Schiffen ein so dichtes Netz aus Wasser gebildet, dass ich nicht erkennen kann, ob jemand zurückwinkt.
»Also«, sagt der Schulle und schlägt in seinem karierten Block ein paar Seiten zurück, »wir haben folgendes: Der Täter ist 25 bis 35 Jahre alt, ungefähr eins neunzig groß. Er ist von kräftiger, bulliger Statur, unsere Zeugin fand ihn stiernackig. Er hat schwarzes, sehr kurz geschnittenes Haar und spricht mit Akzent,
Weitere Kostenlose Bücher