Harry Bosch 02 - Schwarzes Eis
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Der Rauch stieg über dem Cahuenga-Paß senkrecht nach oben und kroch dann unter einer Schicht k ü hler Luft in die Breite. Von der Stelle, wo Harry Bosch stand, sah die Rauchs ä ule wie ein grauer Ambo ß aus, der sich ü ber dem Pa ß erhob. Die sp ä te Nachmittagssonne verlieh dem Grau einen rosa Stich, nach unten hin wurde es zu einem tiefen Schwarz, das aus einem Buschfeuer quoll, welches sich den Abhang auf der Ostseite des Passes hinaufbewegte. Er schaltete seinen Funk-Scanner auf die Koordinationsfrequenz f ü r Notfalleins ä tze in Los Angeles County und h ö rte zu, wie die Einsatzleiter von Feuerwehrtrupps ihrer Zentrale berichteten, da ß in einer Stra ß e schon neun H ä user niedergebrannt seien und da ß die H ä user der n ä chsten Stra ß e genau in der Bahn des herankommenden Feuers l ä gen. Das Feuer bewege sich auf die freien Abh ä nge im Griffith Park zu, wo es f ü r Stunden w ü ten k ö nnte, bevor es unter Kontrolle zu bringen sei. Harry hörte die Verzweiflung in den Stimmen der M ä nner aus dem Scanner.
Bosch beobachtete eine Staffel von Hubschraubern, die aus der Entfernung wie Libellen aussahen, wie sie sich in den Rauch hineinst ü rzten und wieder auftauchten, Wasser und rosa Feuerl ö schmittel ü ber brennenden H ä usern und B ä umen ablie ß en. Es erinnerte ihn an die Entlaubungsaktionen in Vietnam. Der L ä rm, das unkontrollierte Auf und Ab, das Hin und Her der ü berladenen Maschinen. Er sah das Wasser auf die brennenden D ä cher st ü rzen, sah den Dampf, der schlagartig aufstieg.
Sein Blick glitt vom Feuer nach unten in das verdorrte Buschwerk, das sich den H ü gel hinunterzog und die Pfeiler umgab, die sein eigenes Heim am Abhang der Westseite des Passes abst ü tzten. Er sah G ä nsebl ü mchen und Wildblumen im Dickicht. Aber nicht den Kojoten, den er in den letzten Wochen beobachtet hatte, wie er in dem ausgetrockneten Bachbett unter seinem Haus auf Jagd ging. Ab und zu hatte er dem Aasfresser H ä hnchenst ü ckchen zugeworfen, aber das Tier hatte das Futter nicht anger ü hrt, solange Bosch zuschaute. Erst wenn Bosch von der Veranda wieder hineinging, w ü rde das Tier hervorkriechen und die Gaben annehmen. Harry hatte den Kojoten wegen seiner Scheu auf den Namen Timido getauft. Manchmal h ö rte er sp ä t in der Nacht sein Heulen, wie es vom Pa ß zur ü ckschallte.
Er sah wieder zum Feuer hin ü ber, und im gleichen Moment gab es eine laute Explosion. Eine dichte Kugel schwarzen Rauchs drehte sich in dem grauen Ambo ß nach oben. Auf dem Scanner ü berschlugen sich die Stimmen vor Aufregung, und ein Feuerwehrmann meldete, da ß der Propangasbeh ä lter eines Grills in die Luft geflogen sei.
Harry schaute zu, wie der dunklere Rauch in der gr öß eren Wolke aufging, und schaltete dann den Scanner zur ü ck auf die allgemeine Polizeifrequenz von Los Angeles. Er hatte heute Einsatzbereitschaft. Weihnachtsdienst. Eine halbe Minute h ö rte er zu, vernahm aber nichts au ß er normalem Funkverkehr. Es schien eine ruhige Weihnacht in Hollywood zu sein.
Er schaute auf die Uhr, nahm den Scanner mit hinein, zog das Blech aus dem Backofen und lie ß sein Weihnachtsdinner, gebratene H ü hnerbrust, auf einen Teller rutschen. Dann nahm er den Deckel von einem Topf mit ged ü nstetem Reis und Erbsen und sch ü ttete sich eine gro ß e Portion auf den Teller. Sein Essen brachte er zu einem Tisch im E ß zimmer, wo schon ein Glas mit Rotwein stand, direkt neben drei Briefkarten, die schon Anfang der Woche gekommen waren, die er aber nicht ge ö ffnet hatte. Auf dem CD-Player lief Coltranes Arrangement von » Song of the Underground Railroad «.
W ä hrend er a ß und trank, ö ffnete er die Karten, ü berflog sie kurz und dachte an die Absender. Es war das Ritual eines Mannes, der allein war. Ihm war das klar, aber es st ö rte ihn nicht. Er hatte Weihnachten oft genug allein verbracht.
Die erste Karte war von seinem fr ü heren Partner, der sich mit Buch- und Filmtantiemen zur Ruhe gesetzt hatte und nach Ensenada gezogen war. Auf der Karte stand, was immer auf Andersons Karten stand: » Harry, warum ziehst Du nicht hierher? « Die n ä chste kam ebenfalls aus Mexiko, von dem Typ, bei dem er sechs Wochen im vorigen Sommer in Bahia San Felipe gewohnt, mit dem er gefischt und Spanisch ge ü bt hatte. Bosch hatte sich von einer Schu ß wunde in der Schulter erholt. Die Sonne und die Seeluft halfen ihm, sich auszukurieren. In seinem Weihnachtsgru ß auf Spanisch lud
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