Butterschmalz zum Fruehstueck
keine Wimpelchen . Das finde ich ungeheuer wohltuend. Der Aufenthalt im Hotel ist Balsam für meine Nerven. Der Freigang hingegen bleibt strapaziös. Gestern Nachmittag war ich beim Schneider, um meine Bestellungen abzuholen. Ich habe beim Umrechnen einen Fehler gemacht und einen falschen Preis akzeptiert und trage nun die teuersten Shorts meines Lebens. Und der Schneider feiert ein Fest.
Danach will ich über die Felsen zum schönen Strand gelangen, weil ich Auslauf brauche und nicht durch die stinkenden Gässchen gehen mag. Irgendwann weiß ich nicht mehr, wo ich entlangklettern soll. Plötzlich taucht Schneider Nummer zwei neben mir auf als hätte ihn jemand dort hingebeamt und zeigt mir den Weg. Er begleitet mich auf meinem Spaziergang im herrlichen Sonnenuntergang, den ich nur zu gern allein gemacht hätte. Aber er weicht nicht von meiner Seite. Dann fängt er an, dass er mich wieder bei „Shiva“ gesehen hat, und dass er auch Anrecht auf Business habe. So mache ich einen beinahe idyllischen Spaziergang mit insistierendem Schneider.
Bei der Rückkehr ins Hotel kriege ich einen Koller. Am liebsten wäre mir, jemand würde am Strand ein Schild mit „Betreten nicht empfehlenswert“ aufstellen. Man wird entweder von Hunden oder von Schneidern verfolgt. Beim Essen jammere ich an unserem Weibertisch fürchterlich über meine Erlebnisse. Edda baut mich ein wenig auf. Sie ist schon grau. Sie gibt zu, dass das ein Riesenvorteil ist. Sie fährt oft nach Indien. Dabei ist sie immer alleine unterwegs. Es ist nicht problemlos, aber total faszinierend. Das allerwichtigste Gebot lautet: Lass dich nie, nie, nie mit Indern in deiner unmittelbaren Umgebung ein. Nichts am Strand kaufen, alle Leute mit einem barschen „piss off!“ verjagen. Edda sagt, Inder wären ständig um einen herum, lästig, aber harmlos.
Mit meinen Tischgenossinnen glucke ich oft zusammen und wir führen uns wie ein spätpubertäres Mädchenpensionat auf. Beim Essen schieben wir gegen den Willen der Kellner die Tische zusammen und reden. Da alle Frauen entweder kaputte Nerven, eine verletzte Seele oder ein gebrochenes Herz haben, fließen immer wieder Tränen, denn die Behandlung macht uns unheimlich sensibel. Danach sind wir umso lustiger, obwohl wir nur Kräutertee und Fruchtsäfte trinken. Wir unterhalten uns über die monumentalen Hindi-Filme aus Bollywood. In jedem dieser Epen muss ein Paar zusammenfinden. Es gibt immer eine Szene in den Alpen und eine, in der eine Frau mit Sari in den Regen gerät, sodass sich ihre Körperformen abzeichnen. Filmküsse sind strikt verboten. Edda sagt, Rita und ich sollten unbedingt mal ins Kino gehen und uns einen solchen Film reinziehen, das wäre ein echtes Erlebnis. Und Ohropax mitnehmen, da der Film in Discolautstärke gespielt wird. Im Moment fühle ich mich eher schlapp, das ist aber normal. Doch irgendwann werde ich anfangen, vor Energie zu bersten. Ich nehme mir vor, dann ins Kino gehen.
23. März 2005
Der Schneider als Lehrer
Nun ist bei mir das Erbrechen angesagt und die Vorbereitungen beginnen. Meine Zimmernachbarin Martha findet, dass das ein Privileg ist. Wer außer mir hat sonst noch diese Ehre? Martha arbeitet im Kosmetikbereich und macht mich auf die tollen Haare der Frauen aufmerksam. Fast alle Frauen haben hüftlange, gesunde, bis in die Spitzen kräftige Haare. Das kommt vom Kokosöl, mit dem sie ihre Haare einreiben, erklärt sie. So einfach kann es sein, aber leider sehen europäische Haare voller Kokosöl einfach drittklassig aus. Was mir aufgefallen ist, sind die schönen Zähne, die hier fast alle haben. Ein Zahnpastalächeln zum Neidischwerden . Und eine total rosa Zunge haben sie, ohne die geringsten Ablagerungen. Klar, es gibt keine Süßigkeiten, kein Junk oder Fast Food. Hoffentlich bleibt es noch lange so. Außerdem sind die meisten Menschen schlank, fast dünn und drahtig. Nur die Priester und Ärzte sind wohlbeleibt.
Martha ist eine außergewöhnliche Frau. So liegt sie zum Beispiel mit ihrer Schwester völlig unbehelligt am Strand. Ich frage sie, wie sie das macht. Sie versteht meine Frage gar nicht. Wo ist das Problem? Ich erzähle ihr die Geschichte vom aufdringlichen Schneiderlein. Sie lacht sich tot und sagt, ich wäre das Problem und nicht Indien. Wenn ich was beim Schneider kaufen will, soll ich kaufen und Schluss ist. Und wenn nicht, soll ich ihn mit paar freundlichen Wünschen wegschicken. Mein Problem ist, dass mir die Leute einerseits leidtun, ich andererseits aber
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