Byrne & Balzano 3: Lunatic
News über die Ermordung von Detective Walter Brigham. Daneben war ein Zinnsoldat abgebildet.
Jessica spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Sie hielt eine Dokumentation über Mord und Totschlag in Händen.
Zwischen den Seiten des Buches steckte auch eine verblichene farbige Broschüre, auf der glücklich aussehende Kinder in einem kleinen bunten Boot abgebildet waren. Die Broschüre war von 1940. Gegenüber von den Kindern stand ein sechs, sieben Meter hohes Buch. In der Mitte saß eine junge Frau, die wie die kleine Meerjungfer gekleidet war. Oben auf der Seite stand in fröhlichen roten Buchstaben:
Willkommen in Märchenpark StoryBook River. Eine verzaubernde Welt!
Ganz am Ende des Buches fand Jessica einen kurzen Zeitungsartikel, der vor vierzehn Jahren erschienen war.
Odense, Pennsylvania (AP) – Nach fast sechs Jahrzehnten wird der kleine Themenpark StoryBook River in Südost-Pennsylvania nach der Sommersaison für immer geschlossen. Es gibt keine Pläne, den Park zu modernisieren. Die Besitzerin Elise Damgaard erklärte, ihr Ehemann Frederik, der als junger Mann aus Dänemark in die USA eingewandert war, habe StoryBook River als Märchenpark für Kinder eröffnet. Der Park selbst wurde nach dem Vorbild der dänischen Stadt Odense angelegt, dem Geburtsort von Hans Christian Andersen, dessen Märchen und Fabeln die Grundlage für viele der Attraktionen im Park darstellten.
Hinter den Artikel war die oberste Zeile einer Todesanzeige geheftet:
Elise M. Damgaard
Betreiberin des Vergnügungsparks
Jessica sah sich nach einem Gegenstand um, mit dem sie die Fenster einschlagen könnte. Mit beiden Händen packte sie den kleinen Beistelltisch. Er hatte eine Marmorplatte und war schwer. Ehe sie das Zimmer durchqueren konnte, hörte sie Papier rascheln. Papier? Nein, das Geräusch war leiser. Jessica spürte eine Brise; für Sekunden wurde die kalte Luft noch kälter. Dann sah sie den kleinen braunen Vogel, der sich auf das Sofa setzte. Jessica hatte nicht den geringsten Zweifel. Es war eine Nachtigall.
»Du bist meine Eisjungfrau.«
Es war die Stimme eines Mannes, eine Stimme, die Jessica kannte, aber nicht sofort einzuordnen vermochte. Ehe sie sich umdrehen und ihre Waffe ziehen konnte, entriss der Mann ihr den Tisch und warf ihn ihr mit voller Wucht an den Kopf.
Der Tisch traf Jessica an der Schläfe. Eine Sekunde später lag sie auf dem feuchten, kalten Boden des Wohnzimmers. Sie spürte eisiges Wasser auf dem Gesicht: geschmolzener Schnee. Wenige Zentimeter neben ihrem Gesicht sah sie die Stiefel des Mannes. Ihr wurde schwarz vor Augen. Der Schmerz schien ihr den Kopf zu zersprengen. Als ihr allmählich die Sinne schwanden, packte der Angreifer sie bei den Füßen und schleifte sie über den Boden.
Ehe Jessica Sekunden später die Besinnung verlor, hörte sie den Mann singen.
»Kleine Mädchen, hübsch und fein ...«
84.
E s schneite unaufhörlich. Ab und zu mussten Byrne und Vincent anhalten, um zu warten, bis das Schneegestöber ein wenig abflaute. Die trüben Lichter, die aus vereinzelten Häusern und Geschäften schienen, wurden augenblicklich wieder von dem weißen Schleier verschluckt, kaum dass die beiden Detectives sie gesehen hatten.
Vincents Cutlass-Limousine war nicht für verschneite, gewundene Landstraßen ausgelegt. Teilweise fuhren sie nur fünf Meilen pro Stunde. Die Scheibenwischer liefen auf höchster Stufe; die Scheinwerfer durchdrangen die Dunkelheit nur drei Meter weit.
Sie passierten ein Dorf nach dem anderen. Um sechs Uhr sahen sie ein, dass es hoffnungslos war. Vincent hielt am Straßenrand und zog sein Handy hervor. Er versuchte noch einmal, Jessica zu erreichen, doch nur die Mailbox schaltete sich ein.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Vincent.
Byrne zeigte auf den linken Straßenrand. Vincent drehte den Kopf in die gewiesene Richtung.
Das Schild schien wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein.
Doug’s Den .
In dem Restaurant hielten sich nur zwei Paare und zwei ältere Kellnerinnen auf. Die Einrichtung entsprach der gemütlicher Gaststätten in Kleinstädten – rot-weiß karierte Tischdecken, Plastikstühle und an der Decke ein Netz aus kleinen Weihnachtslichtern. In einem gemauerten Kamin brannte ein Feuer. Vincent zeigte einer der Kellnerinnen seine Dienstmarke.
»Wir suchen zwei Frauen«, erklärte er. »Polizistinnen. Es könnte sein, dass sie heute hier gewesen sind.«
Die Kellnerin schaute die beiden Detectives skeptisch an.
»Würden Sie mir bitte noch einmal
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