Byrne & Balzano 3: Lunatic
hemmungslosen, leidenschaftlichen Sex mit ihrem Ehemann heute Morgen erinnerte. Ihr Partner kannte sie gut.
4.
D er Tatort war ein mit Brettern vernageltes Gewerbeobjekt in Manayunk, einer Gegend im Nordwesten von Philly, genau am Ostufer des Schuylkill River. Schon seit einiger Zeit schienen Sanierungs- und Stadtentwicklungsmaßnahmen hier ein Dauerzustand zu sein. Ziel war es, dieses Viertel, in dem einst die Arbeiter aus den Bergwerken und Fabriken gewohnt hatten, in ein Wohnviertel für die gehobene Mittelschicht der Stadt zu verwandeln. Der Name Manayunk war ein Ausdruck der Lenape, eines Indianerstamms, der hier einst gelebt hatte; er bedeutete »unser Platz zum Trinken«. Im vergangenen Jahrzehnt hatte dieser belebte Abschnitt der Main Street mit seinen Pubs, Restaurants und Nachtclubs – Philadelphias Antwort auf die Bourbon Street – sich alle Mühe gegeben, diesem vor langer Zeit verliehenen Namen Ehre zu machen.
Als Jessica und Byrne in die Flat Rock Road einbogen, sperrten bereits zwei Streifenwagen den Tatort ab. Die Detectives fuhren auf den Parkplatz und stiegen aus. Der Streifenbeamte am Tatort war Officer Michael Calabro.
»Guten Morgen, Detectives«, sagte Calabro und reichte ihnen das Tatortprotokoll. Sie unterschrieben beide.
»Was haben wir, Mike?«, fragte Byrne ihn.
Calabro war so bleich wie der Dezemberhimmel. Er war Ende dreißig, stämmig und kräftig und ein alter Hase in seinem Job. Jessica kannte ihn seit fast zehn Jahren. Calabro war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Normalerweise hatte er für jeden ein Lächeln, sogar für die Schwachköpfe, mit denen er sich auf den Straßen herumplagen musste. Es war kein gutes Zeichen, wenn er so tief erschüttert war.
Calabro räusperte sich. »Weibliches Mordopfer.«
Jessica ging zurück zur Straße und betrachtete das große einstöckige Gebäude sowie die unmittelbare Nachbarschaft. Ein unbebautes Grundstück auf der gegenüberliegenden Straßenseite, daneben eine Pension und wiederum daneben ein Lagerhaus. Das Haus, in dem die Tat verübt worden war, war ein wuchtiges Gebäude, mit schmutzig braunen Ziegelsteinen verkleidet und mit Sperrholz verrammelt, das sich mit Wasser vollgesogen hatte. Sämtliche Holzflächen waren mit Graffitis beschmiert. Die Eingangstür war mit verrosteten Ketten und Vorhängeschlössern gesichert. Oben an der Dachverkleidung hing ein riesiges Schild: Zu Verkaufen oder zu vermieten. Delaware Investment Properties, Inc . Jessica schrieb sich die Telefonnummer auf und ging wieder zur Rückseite des Gebäudes. Ein eisiger Wind fegte über das Grundstück.
»Irgendeine Ahnung, was hier früher für ein Geschäft war?«, fragte sie Calabro.
»Das hat mehrmals gewechselt«, erwiderte er. »In meiner Jugend war hier ein Großhändler für Autoersatzteile. Der Freund meiner Schwester hat hier damals gearbeitet. Er hat uns oft was unter der Hand verkauft.«
»Was haben Sie damals für einen Wagen gefahren?«, fragte Byrne ihn.
Jessica sah ein Lächeln auf Calabros Gesicht. So war es immer, wenn Männer über die Autos sprachen, die sie als junge Burschen gefahren hatten. »Einen Trans Am, Baujahr ’76.«
»Nein!«, rief Byrne aus.
»Doch. Ein Freund von meinem Vetter hatte ihn 1985 zu Schrott gefahren. Als ich achtzehn war, hab ich ihm den Wagen für ein paar Dollar abgekauft. Ich hab vier Jahre daran herumgebastelt, dann sah er fast wieder wie neu aus.«
»Ein Trans Am 455?«
»Ja«, sagte Calabro. »Metallicschwarz mit T-Top.«
»Toller Wagen. Und wann hat Ihre Frau Sie nach der Hochzeit gezwungen, ihn zu verkaufen?«
Calabro lachte. »Kaum dass der Pfarrer gesagt hatte: ›Sie dürfen die Braut jetzt küssen.‹«
Wenn es galt, andere aufzumuntern und sie von schrecklichen Eindrücken abzulenken, denen Polizisten bei ihrer Arbeit oft ausgesetzt waren, war Kevin Byrne unübertroffen. Mike Calabro hatte in seinem Job schon viel gesehen, doch das bedeutete nicht, dass der nächste Fall ihn nicht berührte. Oder der übernächste Fall. So war es im Beruf eines Streifenpolizisten: Sobald man um eine Ecke bog, konnte sich das Leben für immer verändern. Jessica wusste noch nicht, was ihnen an diesem Tatort begegnen würde, aber sie wusste, dass Calabro dank Kevin Byrne an diesem Tag alles ein bisschen leichter nehmen würde.
Hinter dem Gebäude befand sich ein L-förmiger Parkplatz, der zum Fluss hin leicht abfiel und einst von einem Drahtzaun umschlossen gewesen war. Doch der Zaun war lange
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