Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
ausgeprägte Vorstellungen zur Sexualmoral bis hin zur Prüderie. Unverheiratete Paare gab es nicht und kein Mädchen wäre je bei seinem Freund eingezogen. Wer es versuchte, bekam es mit seiner Familie zu tun. Über das, was auf den Trümmergrundstücken oder hinter den Schuppen für die Mülltonnen vor sich ging, wurde nicht gesprochen. Wenn ein Mädchen schwanger wurde, machte man dem jungen Mann so großen Druck, es zu heiraten, dass sich nur wenige verweigerten. Die Familien waren groß, häufig sehr groß, und nur selten wurde eine Ehe geschieden. Oft kam es zu heftigem, handgreiflichem Familienstreit, dennoch hielten Mann und Frau meist zusammen.
Nur wenige Frauen gingen arbeiten. Mädchen hatten natürlich noch einen Beruf, doch sobald eine junge Frau verheiratet war, hätte man sie schief angesehen, wäre sie arbeiten gegangen. Und sobald die ersten Kinder kamen, war es unmöglich: Ihr Los war dann ein endloser Tageslauf aus Kinder großziehen, putzen, waschen, einkaufen und kochen. Ich habe mich oft gefragt, wie diese Frauen in Familien mit bis zu dreizehn, vierzehn Kindern in einem kleinen Haus mit nur zwei oder drei Schlafzimmern ihren Alltag bewältigt haben. Manche Familien dieser Größe lebten in Wohnungen, die oft nur aus zwei Zimmern mit einer winzigen Küche bestanden.
Verhütungsmaßnahmen, wenn man überhaupt welche traf, waren unzuverlässig. Sie waren allein Sache der Frauen, die endlos über sichere Zeiträume, Rote Ulme, Gin mit Ingwer, heiße Duschen und weitere Hausmittel debattierten, doch nur wenige besuchten Kurse über Geburtenkontrolle, und soweit ich gehört habe, weigerten sich die meisten Männer schlicht, Kondome zu benutzen.
Wäsche waschen, aufhängen und bügeln nahm den größten Teil des Arbeitstags einer Frau ein. Waschmaschinen waren weitgehend unbekannt und der Trockner war noch nicht erfunden. Die Höfe waren immer voll von wahren Girlanden aus trocknenden Kleidern, und wir Hebammen mussten uns oft unseren Weg durch einen Wald aus flatternder Bettwäsche bahnen, um zu unseren Patientinnen zu gelangen. Auch im Haus oder der Wohnung musste man sich noch unter der Wäsche durchducken oder sich im Flur, auf der Treppe, in der Küche, im Wohnzimmer und im Schlafzimmer an ihr vorbeidrücken. Waschsalons kamen erst in den 1960er-Jahren auf und so musste noch alles per Hand zu Hause gewaschen werden.
In den 1950ern hatten die meisten Häuser fließend kaltes Wasser und eine Toilette mit Spülung draußen im Hof. Manche hatten sogar ein Badezimmer. In den meisten Wohnblocks gab es jedoch keins und so waren die öffentlichen Waschhäuser immer noch in regem Gebrauch. Einmal pro Woche wurden brummige Jungen von ihren zupackenden Müttern dorthin gebracht, um gebadet zu werden. Die Männer vollzogen dort, wohl auf Anweisung ihrer Frauen, die gleichen Waschungen. Meist sah man sie am Samstagnachmittag auf dem Weg zum Badehaus mit einem kleinen Handtuch, einem Stück Seife und einem finsteren Blick, der von der allwöchentlich ausgetragenen und wieder einmal verlorenen Debatte zeugte.
In den meisten Häusern gab es ein Radio, aber ich habe während meiner gesamten Zeit im East End keinen einzigen Fernseher gesehen, was durchaus mit ein Grund für die großen Familien gewesen sein mag. Die Pubs, die Männerklubs, Tanzabende, Kino, Music-Hall und Hunderennen waren die wichtigsten Freizeitvergnügungen. Für viele junge Leute war überraschenderweise die Kirche Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens und jede Kirche bot an jedem Abend der Woche eine Reihe von Jugendklubs und Freizeitaktivitäten an. Die All Saints Church an der East India Dock Road, eine riesige viktorianische Kirche, hatte einen Jugendklub mit mehreren Hundert Mitgliedern, der von ihrem Pfarrer und nicht weniger als sieben tatkräftigen, jungen Kaplanen geleitet wurde. Und sie brauchten auch ihre ganze jugendliche Tatkraft, um sich Abend für Abend etwas für fünf-, sechshundert junge Menschen einfallen zu lassen.
Die Seeleute aller Nationalitäten, die in den Docks zu Tausenden an Land gingen, schienen keinen großen Einfluss auf die Menschen zu haben, die dort lebten. »Wir bleiben lieber unter uns«, war die vorherrschende Meinung, und das bedeutete, dass es keinen Kontakt gab. Töchter wurden mit Umsicht beschützt: Es gab genug Bordelle, um den Drang der Seeleute zu befriedigen. Während meiner Arbeit musste ich zwei, drei von ihnen aufsuchen, und ich fand es gruselig, dort zu sein.
Ich sah die
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