Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
Vom Netzwerk:
vorkommen, doch überhaupt nicht komisch wäre es gewesen, hätten wir ihnen aufgrund unserer Armut unser Leben anvertrauen müssen.
    Florence Nightingale ist unsere berühmteste Krankenschwester, ihr dynamisches Organisationstalent hat die Krankenpflege auf ewig geprägt. Doch sie war nicht allein, denn die Geschichte berichtet von vielen Gruppen engagierter Frauen, die es sich zur Aufgabe machten, das Niveau der Pflege zu heben. Zu ihnen gehörten die Hebammen des Heiligen Raymund Nonnatus * . Sie waren ein Orden anglikanischer Nonnen, die sich besseren Geburtsbedingungen für Arme verschrieben hatten. Sie gründeten Häuser im Londoner East End und in vielen Armenvierteln der großen britischen Industriestädte.
    Im neunzehnten Jahrhundert (und natürlich auch davor) konnten arme Frauen es sich nicht leisten, einen Arzt zu bezahlen, der ihr Baby zur Welt brachte. Sie mussten sich daher auf die Dienste einer Hebamme oder »handywoman« , wie man sie oft nannte, verlassen, die sich alles selbst beigebracht hatte. Manche waren wahrscheinlich durchaus erfahrene Geburtshelferinnen, andere hatten eine erschütternde Sterblichkeitsbilanz. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts lag die Sterblichkeit der Mütter in den ärmsten Gesellschaftsschichten bei etwa 35 – 40 Prozent und die Kindersterblichkeit bei rund 60 Prozent. Eklampsie, Blutungen oder Lageanomalien bedeuteten unweigerlich den Tod der Mutter. Manchmal überließen diese Frauen ihre Patientinnen dem Todeskampf, wenn während der Geburt Komplikationen eintraten. Ohne Zweifel waren ihre Arbeitsmethoden, gelinde gesagt, nicht hygienisch, wodurch sie Infektionen und Krankheiten verbreiteten, die oft zum Tod führten.
    Nicht allein dass es keine Ausbildung gab, es gab auch keinerlei Angaben über die Anzahl dieser handywomen und ihre Erfahrung. Die Hebammen des Heiligen Raymund erkannten, dass man diesem gesellschaftlichen Missstand nur durch eine ordentliche Ausbildung für Hebammen und die Regelung ihrer Arbeit durch Gesetze begegnen konnte.
    Bei diesem Ringen um eine Gesetzgebung stießen die entschlossenen Nonnen und ihre Unterstützer auf die entschiedenste Gegenwehr. Der Kampf tobte ab etwa 1870: Man nannte sie »absurd«, »Zeitverschwender«, »ein Kuriosum« und »eine unangenehme Ansammlung von Wichtigtuerinnen«. Man warf ihnen alles Mögliche von Perversion bis Profitsucht vor. Doch die Nonnen des Nonnatus ließen sich nicht unterkriegen.
    Der Kampf dauerte dreißig Jahre an, schließlich wurde 1902 das erste Gesetz zum Berufsstand der Hebammen verabschiedet und das Royal College of Midwives wurde geboren.
    Die Arbeit der Hebammen des Heiligen Raymund Nonnatus basierte auf einem Fundament religiöser Disziplin. Ich zweifle nicht daran, dass das damals nötig war, denn die Arbeitsbedingungen waren so abscheulich und die Arbeit selbst so anstrengend, dass man sich von Gott berufen fühlen musste, um den Wunsch zu verspüren, sich dieser Aufgabe zu widmen. Florence Nightingale berichtet, dass ihr mit Anfang zwanzig Christus erschienen sei und ihr gesagt habe, ihr Leben sei für diese Aufgabe vorgesehen.
    In den Elendsvierteln der Londoner Docklands arbeiteten die Hebammen des Heiligen Raymund inmitten der Ärmsten der Armen, und etwa bis zur Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts waren sie die einzigen verlässlichen Hebammen dort. Sie waren unermüdlich in ihrer Arbeit und überstanden Cholera-, Typhus-, Polio- und Tuberkuloseepidemien. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert bewältigten sie zwei Weltkriege. In den Vierzigerjahren blieben sie in London und litten unter dem Luftkrieg mit seinen massiven Bombenangriffen auf die Docks. Sie brachten Babys in Luftschutzbunkern und Kellerlöchern, in Krypten von Kirchen und in U-Bahn-Stationen zur Welt. Diesem unermüdlichen, selbstlosen Einsatz hatten sie ihr Leben geweiht und die Menschen überall in den Docklands kannten, respektierten und bewunderten sie. Jeder sprach mit tief empfundener Liebe von ihnen.
    Das waren die Hebammen des Heiligen Raymund Nonnatus, als ich sie kennenlernte: ein Orden von Nonnen, die ihr Gelübde abgelegt und sich damit einem Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam verschrieben hatten, die aber zugleich ausgebildete Krankenschwestern und Hebammen waren, und genau deswegen kam ich zu ihnen. Ich hatte nicht damit gerechnet, aber es sollte die wichtigste Erfahrung meines Lebens werden.
    * Die Hebammen des Heiligen Raymund Nonnatus sind ein Pseudonym. Den Namen habe ich von St. Raymund

Weitere Kostenlose Bücher