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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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ERSTER TEIL
    11. Mai
    Der junge R. M., mein mormonischer Wärter, hat mir endlich Papier gebracht. Vor genau drei Monaten habe ich ihn zum erstenmal darum gebeten. Warum hat er sich’s plötzlich anders überlegt? Vielleicht ist es Andrea irgendwie gelungen, ihn zu bestechen. Rigor Mortis bestreitet es zwar, aber das habe ich nicht anders erwartet. Wir sprachen über Politik, und ich konnte seinen Andeutungen entnehmen, daß sich Präsident McNamara für den Einsatz taktischer Kernwaffen entschieden hat. Möglicherweise habe ich also nicht Andrea, sondern McNamara das Papier zu verdanken, denn R. M. hat es die ganze Zeit gewurmt, daß man General Sherman, den armen General Sherman, nicht mit der nötigen Schlagkraft ausgestattet hat. Wenn R. M. guter Laune ist, wie heute, flackert sein fürchterliches Lächeln - zwischen schmalen, straffen Lippen ein wahres Totenschädelgebiß - bei der leisesten Andeutung von Humor auf. Warum haben alle Mormonen, die ich kenne, das gleiche verkrampfte Lächeln? Leiden sie alle unter schlechter Verdauung?
    Dies ist mein Tagebuch. Hier kann ich offen sprechen. Offen gesagt: Ich fühle mich schrecklich elend.

    12. Mai
    Tagebuchaufzeichnungen, wie ich sie früher gemacht habe, werden meist unversehens zu bloßen Selbstermunterungen. Jetzt aber muß ich von Anfang an auf die genaue Schilderung der äußeren Umstände bedacht sein, wobei mir das unvergleichliche Protokoll eines Gefangenendaseins, Aus einem Totenhaus, als Vorbild dienen soll. Hier wird es mir sicher leichtfallen, solche Details zu beschreiben, denn seit meiner Kindheit bin ich von den äußeren Umständen nicht mehr so tyrannisiert worden. Vor der Hauptmahlzeit erlebe ich täglich zwei Stunden lang ein Gethsemane der Angst und Hoffnung. Angst davor, daß man uns wieder diese ekelhaften Spaghetti bringen wird. Hoffnung darauf, daß ich in meiner Eintopfration einen Fleischbrocken entdecken oder zum Nachtisch einen Apfel bekommen werde. Noch schlimmer als der Fraß ist die irre Schrubberei, die wir jeden Morgen vor der Zelleninspektion veranstalten müssen. Die Zellen sind so steril wie die Ideen von Philip Johnson (Waschraum im Grand-Central-Bahnhof). Wir dagegen, die Gefangenen, strömen den unvorstellbaren, unausrottbaren Geruch vertrockneten, unnützen Fleisches aus.
    Dennoch: Wir leben hier nicht schlechter, als wir es jenseits dieser Mauern getan hätten, wären wir dem Einberufungsbefehl gefolgt. So scheußlich dieses Gefängnis ist - es hat den Vorteil, daß es uns nicht so rasch, nicht so sicher in den Tod schicken wird. Ganz zu schweigen von dem unschätzbaren Vorteil, daß wir uns auf unsere Standfestigkeit berufen können.
    ›Wir‹ - wer ist das? Außer mir selbst nicht mehr als ein Dutzend Kriegsdienstverweigerer. Man hält uns sorgfältig voneinander getrennt, damit kein Gemeinschaftsgeist aufkommen kann. Die Gefangenen - die echten Gefangenen - strafen uns mit Verachtung. Sie können sich auf etwas berufen, das mehr gilt als Standfestigkeit: auf ihre Schuld. So wird unsere Isolierung, meine Isolierung, immer größer. Aber ich fürchte, mein Selbstmitleid auch. An manchen Abenden sitze ich hier und hoffe, daß R. M. hereinkommen und sich mit mir streiten wird.
    Vier Monate! Und sie haben mich zu fünf Jahren verurteilt ... Das ist das Gorgonenhaupt, daß ich immer und überall vor mir sehe.

    13. Mai
    Ich muß von Smede berichten. Gefängnisdirektor Smede, mein Erzfeind. Smede der Eigenmächtige verbietet mir noch immer, die Bibliothek zu benutzen, und erlaubt mir nur ein Neues Testament und ein Gebetbuch. Es ist, als müßte ich, wie mir als Kind oft angedroht wurde, die Sommerferien beim verhaßten Onkel Morris verbringen, der meinen Eltern einredete, ich würde vom vielen Lesen ›das Augenlicht verlieren‹. Smede: kahl, geräuschvoll, feist wie ein aus dem Leim gegangener Sportler. Schon wegen seines Namens könnte man ihn verabscheuen. Heute erfuhr ich aus dem kurzen, nicht der Zensur (Smede?) zum Opfer gefallenen Abschnitt meines monatlichen Briefs von Andrea, daß die Korrekturfahnen von Die Hügel der Schweiz von der Gefängnisverwaltung an den Verlag zurückgeschickt wurden, unter Hinweis auf die bei der Korrespondenz mit Gefangenen zu beachtenden Vorschriften. Das ist bereits drei Monate her. Inzwischen ist das Buch erschienen. Und es ist rezensiert worden! (Wahrscheinlich hat sich der Verleger so beeilt, weil er sich von der Gerichtsverhandlung kostenlose Reklame versprochen hat.)
    Natürlich

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