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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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Verzeichnis der Kleideroptionen aufzurufen, und augenblicklich füllte sich der Raum mit Designer-Holofashion. Er schlenderte die Reihen geisterhaft schwebender, durchscheinender Hosen und Hemden ab und entschied sich schließlich für einen klassischen marineblauen Anzug im Stil des einundzwanzigsten Jahrhunderts und eine passende Krawatte. Mit einem Ruck seines Handgelenks vaporisierte er die nicht ausgewählten Kleider und schlüpfte in den Skinsuit, der sich sanft an seinen Körper schmiegte und nach außen hin genauso aussah wie der marineblaue Anzug.
    Er drehte sich zum Eingang seines Wandschranks und sagte: »Spiegelbild.«
    Die Türöffnung wurde trüb und undurchsichtig, dann glasig. Er beugte sich dicht davor und glättete sein strähniges blondes Haar. Es war der wichtigste Tag seines Lebens, und er wollte weniger wie ein Teenager und mehr wie der Geschäftsmann aussehen, zu dem sein Vater ihn erzogen hatte.
    Er blendete den Spiegel aus und ging zurück in sein Schlafzimmer, warf ein UniCorp BetterMint ein und sah sich ein letztes Mal um. Es war der erste Morgen seit Jahren, an dem er nicht schon zu Tagesbeginn in den Unison-Workspace der Firma geflimmert war. Er spürte einen tiefen, ängstlichen Stich in der Magengegend bei dem Gedanken daran, was ihm dort wohl entging, und presste die Handflächen aufeinander. Die hartkodierten Rezeptoren schlossen den Log-in-Schaltkreis und schickten ein vertrautes Prickeln bis hinauf in seine Fingerspitzen. Er dachte an sein Passwort – LenStinkt – und fühlte die Flimmer-Symptome: den Batteriesäuregeschmack, gegen den die meisten User BetterMints kauten, das zähe Jucken tief in seinem Hals, als hätte er sich eine Erkältung eingefangen, die kurze Schwerelosigkeit. Dann durchströmte ihn reines Glück. Gefühlsmäßig war Flimmern so, als brächte einen ein bloßer Wimpernschlag von einer Beerdigung in ein tropisches Ferienparadies.
    Ambrose bemerkte stets zuerst das intensivere Licht, die Art, wie es die Konturen seiner Schlafzimmermöbel hervorhob und dem Raum eine bis ins Detail brillante Schärfe verlieh. Es war, als lebte er sein reales Leben hinter einer verschmierten Kameralinse und Unison würde sie einfach sauber wischen. Viele User beschrieben dieses Erlebnis so, als würden sie ihre Umgebung zum allerersten Mal wirklich
wahrnehmen
. Andere behaupteten, sie fühlten sich wie ein vollkommen bewusstes Neugeborenes. Sein Schlafzimmer verschwand nicht, verwandelte sich auch nicht in irgendeine unpersönliche virtuelle Lobby; schon früh hatten Tests der Unison-Qualitätssicherung ergeben, dass das Flimmern in eine stark veränderte Umgebung verwirrend und unangenehm war. In der Theorie gefiel den Usern die Vorstellung, sich in ihrem Zuhause einzuloggen und sich im nächsten Moment in den Schweizer Alpen wiederzufinden. In der Praxis verursachte es Erbrechen, Kopfschmerzen und das Gefühl, Wasser in der Nase zu haben.
    Als hochrangiger Mitarbeiter hätte Ambrose auch an einen nur den Admins vorbehaltenen Speicherort flimmern können wie Workspace oder Greymatter, das Domizil seines Vaters. Heute Morgen allerdings reichte seine Zeit bloß für ein rasches Update. Ein Spiegel erschien vor seinem geistigen Auge und teilte seine Wahrnehmung in zwei deutlich getrennte Abschnitte: die Innenwelt seines Admin-Decks und die Außenwelt von Unison. Er filterte alle Daten heraus, die nichts mit UniCorp zu tun hatten – unzählige Freundschaftsanfragen und Einladungen, die er sich aus Zeitgründen nie richtig ansehen konnte –, und griff auf den Unternehmens-Feed zu. Es fühlte sich an, als wäre sein Geist geöffnet und für seine Datendurchsicht eingerichtet worden, und das Filtern der überwältigenden Fülle an Informationen war so einfach, wie eine Tür zu schließen und eine andere aufzustoßen. Sein Unternehmens-Feed verzeichnete sämtliche Unison-Aktivitäten, seit er gestern Abend ausgeflimmert war. Er studierte die Updates:
    43987 neue Accounts
    3499 Accounts zur Hölle geschickt wegen Nichtzahlung
    Er ließ sich die neuen Accounts anzeigen und wies das Deck an, sie entsprechend ihrer möglichen Profitabilität einzustufen. Eines der Privilegien, die er als Martin Truax’ Sohn genoss, war, dass sein Process-Flow-Team ein Vorzugriffsrecht auf die reichsten neuen User hatte. Die heutige Nummer eins war Lori Frederick-Smith, eine Plastahl-Erbin aus Boston Heights. Sie war gerade eingeloggt. Er drehte den Spiegel zur Seite und ließ sich ihre Profildaten in

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