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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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1. Teil
Der Schiffbruch
    Der Wind hat stark aufgefrischt, hat jetzt Sturmstärke erreicht. Die Yacht segelt hart am Wind, der von Westen bläst. Ich betrachte sie mit schläfrigem, uninteressiertem Blick, so viele Boote kommen im Laufe eines Tages vorbei. Ich habe in diesem Sommer eine Menge gelernt über das Meer, das Salzwasser und den Wind. Ich habe gelernt, daß es eine Art von Glück gibt, ohne Sinn und Zweck, ohne Leidenschaft, beinahe ohne Musik. Rebecca hat es mir beigebracht. Weil ihr Freund mit seinen Eltern in Frankreich Ferien macht, weil ihre Eltern auf Jungfernfahrt sind mit dem neuen Flaggschiff der Reederei Frost, von Bergen an der Küste entlang bis nach Kirkenes und zurück. Weil sie mich mag und weil das Leben nicht länger ist, was es war, bin ich mit ihr allein in dem Ferienhaus der Frosts. Wir leben wie Geschwister, nur ohne die üblichen Streitereien, die Spannung und die Unruhe, die ich manchmal mit meiner Schwester Cathrine erlebe, die jetzt, Ende Juli, mit Interrail auf dem Balkan unterwegs ist. Hier, im Schärengarten vor Tvedestrand, läuft der Sommer 1970 vor meinen Augen ab, und ich muß nicht daran teilnehmen. Obwohl Rebecca zu mir sagt: »So ist das Leben, Aksel,« merke ich, daß ich nach wie vor außerhalb stehe, keine Beziehung habe zu all den Ereignissen und Dingen, von denen sie redet. Trotzdem mache ich gerne mit, trinke Wein mit ihr, pule Garnelen, höre mir jeden Morgen ihre Lieblingsmusik an, die kompromißlose C-Dur-Tonleiter am Anfang von Tschaikowskis Streicherserenade. Sie will mich mit dieser Art von Musik ärgern, und eines Morgens standen mir die Tränen in den Augen. Da lachte sie. »Ich juble, und du weinst. Sind wir nicht ein Spiegelbild des Lebens?« An diesem Tag führte sie ein ernstesGespräch mit mir, sagte, ich würde zuviel grübeln, zuviel üben und müsse aufpassen, mich nicht in der Vergangenheit zu vergraben, müsse das gute Leben annehmen. Dieses Leben wollte sie mir zeigen in diesem Ferienhaus am Meer, mit einem ausgezeichneten Steinway-Flügel Modell B und dem Blick auf den Skagerrak, bis hin zum Horizont, der Felseninsel Målen und dem Leuchtturm Møkkalasset. Es ist schön hier. Die Sommerabende sind blau und ganz still, wenn der Mond aus dem Meer steigt. Abend für Abend sind wir hier gesessen und haben uns unterhalten, haben Musik aufgelegt zu dem leichten italienischen Weißwein, den Rebecca so liebt, haben die ersten Grillen gehört und die Freizeitboote vorbeisegeln sehen. Gelächter. Grillgeruch. Die Nächte haben wir in getrennten Zimmern geschlafen. Bei mir regte sich ein Anflug von Spannung, wenn wir uns in der Tür gute Nacht wünschten, ein unanständiger Gedanke ohne Zukunft. Ja, ich sehe uns so viele Jahre später von meinem Schreibtisch aus, Rebecca Frost und mich, Aksel Vinding. Wie zwei Freunde, fast wie Geschwister, eingehüllt in das verzauberte Licht der nordischen Sommernacht, waren wir uns näher, als es die Leidenschaft damals vermocht hätte, ewig verbunden, ohne daß wir es merkten.
    Die Yacht lag jetzt so stark auf der Seite wie nur möglich. Dieses Draufgängertum der Segler hatte ich schon mehrfach beobachtet. Rebecca spaßte gerne darüber, wenn sie sagte: »Genau an dieser Stelle ist Richard Wagner in Seenot geraten, was ihn später auf die Idee des Fliegenden Holländers brachte.«
    In dem starken Sonnenlicht, bei dem scharfen Wind kann man die Schären unter Wasser deutlich sehen. Die Wellen haben Schaumkronen. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne und ein dunkler Schatten fällt auf das Meer. Kein anderes Boot ist zu sehen. Rebecca blickt für einen Moment von ihrem Buch auf. »Spürst du, wie es kühler wird?« Ich spähehinauf zum Himmel, halte Ausschau nach dem Habicht, der mich und Anja vor einigen Monaten verfolgt hat, aber da ist keiner. Und Anja ist tot.
    Ein Windstoß erfaßt den Sonnenschirm beim Swimmingpool und kippt ihn um. Das Meer ist bleigrau, fast schwarz. Das weiße Segel der Yacht liegt beinahe auf den Wellen. Vier Gestalten hängen nebeneinander auf Backbord im Trapez, berühren nur mit den Füßen das Deck. Am Ruder steht ein Mann in einem grünen T-Shirt, halb liegend hält er Kurs Richtung Land.
    »Schau dir das an«, sagt Rebecca. »Muß er so verrückt segeln?«
    Man hört das scharfe Knattern des flatternden Segels, als das Boot wendet. Dann greift der Wind wieder an, und die vier Gestalten wechseln hinüber auf Steuerbord. Die Yacht schießt nun in voller Fahrt auf die Felseninsel zu, die in

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