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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Ich rufe Ihnen das in ernster Not entgegen. Es könnte kommen, daß unsre Versäumnisse vor einen Richterstuhl gefordert werden, wo keine Reue das Geschehene ausgleicht.«
    Der Lord erhob sich und trat zum Fenster. Seine Augenlider waren gerötet, sein Blick verdunkelt. Wen verriet er eigentlich, wen belog er? Seine Auftraggeber? Den Jüngling, den er an sich gekettet? Den Präsidenten? Sich selbst? Er wußte es nicht. Er war erschüttert von seinen eignen Worten, denn sie erschienen ihm wahr. Wie sonderbar, alles das erschien ihm wahr, als ob er der Retter wirklich sei. Er liebte sich in diesen Minuten und hätschelte sein Herz. Eine Finsternis des Vergessens kam über ihn, und sofern er Müdigkeit und Ekel zu erkennen gab, galten sie nur dem wesenlosen Schemen, das an seiner Stelle gesessen, an seiner Statt geredet und gehandelt hatte. Er löschte zwanzig Jahre Vergangenheit von der Tafel seines Gedächtnisses hinweg und stand da – reingewaschen durch eine Halluzination von Güte und Mitleid.
    Feuerbach hatte sich vor seinen Schreibtisch niedergelassen. Den Kopf in die Hand gestützt, schaute er sinnend in die Luft. »Wir sind die Diener unsrer Taten, Mylord,« begann er nachlangem Schweigen, und die sonst polternde oder schrille Stimme hatte einen sanften und feierlichen Klang. »Vor dem schlimmen Ende zittern, hieße jede Schlacht aufgeben, bevor sie geschlagen. Offenheit gegen Offenheit, Herr Graf! Bedenken Sie, ich stehe hier auf einem verlorenen Posten des Landes. Mein Leben war für eine andre Bahn bestimmt, einst glaubte ich es wenigstens, als in der Verborgenheit einer Kreisstadt beschlossen zu werden. Ich habe meinem König Dienste geleistet, die gewürdigt worden sind und die vielleicht dazu beigetragen haben, seinem Namen das stolze Attribut des Gerechten zu verleihen. Noch größere wollte ich leisten, sein Volk erhöhen, die Krone zu einem Symbol der Menschlichkeit machen. Dies scheiterte. Ich ward zurückgestoßen. Freilich, man hat mich belohnt, aber nicht anders als wie Domestiken belohnt werden.«
    Er hielt inne, rieb das Kinn mit dem Handrücken und knirschte mit den Zähnen. Dann fuhr er fort: »Von früher Jugend an habe ich mich dem Gesetz geweiht. Ich habe den Buchstaben verachtet, um den Sinn zu veredeln. Der Mensch war mir wichtiger als der Paragraph. Mein Streben war darauf gerichtet, die Regel zu finden, die Trieb von Verantwortung scheidet. Ich habe das Laster studiert wie ein Botaniker die Pflanze. Der Verbrecher war mir ein Gegenstand der Obsorge; in seinem erkrankten Gemüt wog ich ab, was von seinen Sünden auf die Verirrungen des Staates und der Gesellschaft entfiel. Ich bin bei den Meistern des Rechts und bei den großen Aposteln der Humanität in die Lehre gegangen, ich wollte das Zeitalter der überlebten Barbarei entreißen und Pfade zurZukunft bauen. Überflüssig zu beteuern. Meine Schriften, meine Bücher, meine Erlässe, meine ganze Vergangenheit, das heißt eine Kette ruheloser Tage und arbeitsvoller Nächte, sind Zeugen. Ich lebte nie für mich, ich lebte kaum für meine Familie; ich habe die Vergnügungen der Geselligkeit, der Freundschaft, der Liebe entbehrt; ich zog keinen Gewinn aus eroberter Gunst; kein Erfolg schenkte mir Rast oder nachweisbares Gut, ich war arm, ich blieb arm, geduldet von oben, begeifert von unten, mißbraucht von den Starken, überlistet von den Schwachen. Meine Gegner waren mächtiger, ihre Ansichten waren bequemer, ihre Mittel gewissenlos; sie waren viele, ich einer. Ich bin verfolgt worden wie ein räudiger Hund; Pasquillanten und Verleumder besudelten meine gute Sache mit Schmutz. Es war eine Zeit, da konnte ich nicht durch die Straßen der Residenz gehen, ohne die gröblichsten Insulten des Pöbels fürchten zu müssen. Als ich, durch widerwärtige Intrigen und Anfeindungen gezwungen, mein Professorenamt in Landshut aufgeben mußte, als man den studentischen Janhagel gegen mich in Raserei versetzt hatte und ich nach meiner Heimat floh, Weib und Kind im Stich lassend, da trachteten mir bezahlte Schergen nach dem Leben. Es war der große Krieg, alle Ordnung war zerrüttet; von der österreichischen Partei wurde ausgesprengt, daß ich mit der französischen Partei im Bündnis stehe, die dem Kaiser Napoleon zur Errichtung eines okzidentalischen Kaiserreichs den Weg bahnen und die souveränen Fürsten stürzen wolle, die Franzosen verdächtigten umgekehrt meine Beziehungen zu Österreich. Es gab einen Mann, einen Amts- und Berufsgenossen,

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