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Cécile

Cécile

Titel: Cécile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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äußersten Fällen ab, so geb ich dem Ventilationsfeinde den Vorzug. Er mag ebenso lästig sein wie sein Gegner, ebenso gesundheitsgefährlich oder meinetwegen auch noch mehr; aber er ist nicht so beleidigend. Der Ventilations-Enthusiast brüstet sich nämlich beständig mit einem Gefühl unbedingter Superiorität, weil er, seiner Meinung nach, nicht bloß das Gesundheitliche, sondern auch das Sittliche vertritt. Das Sittliche, das Reine. Der, der sämtliche Fenster aufreißt, ist allemal frei, tapfer, heldisch, der, der sie schließt, allemal ein Schwächling, ein Feigling, un lâche. Und das weiß der unglückliche Fensterschließer auch, und weil er es weiß, geht er ängstlich und heimlich vor,
so
heimlich, daß er mit Vorliebe den Moment abwartet, wo sein Widerpart zu schlafen scheint. Aber dieser Widerpart schläft nicht, und mit jenem nie versagenden Mut, den eben nur die höhere Sittlichkeit gibt, springt er auf, läßt seine Zornader anschwellen und schleudert das Fenster wieder nieder, genauso wie der dicke kleine Herr gestern. Sie können zehn gegen eins wetten, der Antagonist von Zug und Wind ist immer voll Timidität, der Enthusiast aber (und das ist schlimmer) voll Effronterie.«
    »Sehr gut«, stimmte der Emeritus ein.
    »Aber«, fuhr Gordon fort, »da kommen Forellen, meine gnädigste Frau. Das ist denn doch wichtig genug, um unsre Streitfrage wenigstens momentan ruhen zu lassen. Darf ich Ihnen dieses Prachtexemplar vorlegen? Und zugleich etwas Butter von diesem merkwürdigen Buttervogel hier, hier auf der zweiten Schüssel, gelber als gelb und mit zwei Pfefferkornaugen! Oh, sehen Sie, grotesk bis zum Gruseligen. Zu den schlimmsten Ausschreitungen erregter Künstlerphantasie gehören doch immer
die
der Konditoren und Köche.«
    »Was ich mich zuzugestehen gedrungen fühle«, sagte der Langhaarige mit stark wissenschaftlicher Betonung. »Aber, so Sie gestatten, zugleich unter Konstatierung gelegentlicher Ausnahmen. Das deutsche Märchen, über dessen Abstammung zu sprechen uns hier zu weit führen würde... Darf ich mich Ihnen vorstellen? Eginhard Aus dem Grunde... das deutsche Märchen kennt von ältester Zeit her ein ideales Pfefferkuchenhaus, ein Pfefferkuchenhaus nur in der Idee. Dies steht fest. Ist es nun eine konditorliche Geschmackssünde, so wird sich die Sache vielleicht präzisieren lassen,
das
leibhaftig vor uns hinzustellen, was bis dahin nur in unserer Vorstellung lebte? Die Beantwortung dieser Frage will mir keineswegs leicht erscheinen, am wenigsten aber unanfechtbar, ob sie nun auf ›nein‹ oder ›ja‹ lauten möge. Was mich persönlich angeht, so bekenn ich offen, daß ich mich in der Weihnachtszeit jedesmal herzlich freue, bei Degebrodt in der Leipziger Straße (dessen Spezialität diese Dinge zu sein scheinen) dem bis vor wenig Jahren nur in der Idee bestehenden Pfefferkuchenhause greifbar zu begegnen. Es unterstützt dergleichen die Phantasie, statt sie zu lähmen. Der unsre Zeit und unsre Kunst entstellende Realismus hat seine Gefahren, aber, wie mir scheinen will, auch sein Recht und seine Vorzüge.«
    »Gewiß, gewiß«, sagte Gordon. »Ich revoziere. Wenn man Fisch ißt, darf man ohnehin nicht streiten. Ich habe einen Professor gekannt, der an einer Fischgräte gestorben ist.«
    »Die Forelle hat keine Gräten.«
    »Aber Flossen. Und doch jedenfalls die Mittelgräte. Nehmen Sie sich in acht, Herr Professor.«
    »Sie legen mir einen Titel zu...«
    »Pardon. Ich war der Meinung... Übrigens find ich diese Harz-Forellen überaus delikat und von einem ganz eigentümlichen Aroma.«
    »Forellen sind Forellen.«
    »Doch nur etwa so, wie Menschen Menschen sind. Weiße, Schwarze, Privatgelehrte haben einen verschiedenen Geschmack, auch vom anthropophagischen Standpunkt aus, und die Forellen desgleichen. Sie schmecken wirklich verschieden. Ich darf es sagen. Denn wenn ich die Rechnung mache, so hab ich wohl ein Dutzend Arten durchgekostet.«
    »Und die schönsten waren?«
    »In Deutschland, meine gnädigste Frau, die Felchen im Bodensee (man muß Markgräfler dazu trinken), und in Italien die Maränen aus dem Lago di Bolsena... Die bedingungslos schönsten aber hab ich erst ganz vor kurzem in meiner Heimat, will sagen in der schottischen Heimat meiner Familie, kennengelernt.«
    »Und das waren?«
    »Lachsforellen aus dem Kinross-See. Maria Stuart saß da gefangen, in einem alten Douglas-Schlosse mitten im See, und wenn sie während dieser Gefangenschaftstage, neben der Liebe von

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