Cécile
sind mehr oder weniger ›Aus dem Grunde‹.«
Danach brach das Gespräch ab, und erst nach einer Weile nahm es Cécile wieder auf. »Ob wir die Herren noch einholen?« fragte sie. »Die Chaussee läuft hier wie mit dem Lineal gezogen, und doch seh ich niemand.«
In der Tat, Cécile sah niemanden und konnte niemand sehen, aber es lag nicht an einer allzu großen Entfernung zwischen ihr und der Avantgarde, sondern einfach daran, daß die drei Herren, denen der Aufstieg doch saurer geworden war, als sie vermutet hatten, Schattens halber in einen wundervollen Waldpfad eingebogen waren, der erst später wieder auf den Hauptweg mündete. St. Arnaud hatte die Mitte zwischen seinen beiden Begleitern genommen und rechnete darauf, die Fehde zwischen dem ›braunschweigischen Roß‹ des Emeritus und dem ›askanischen Bären‹ des Privatgelehrten in kürzester Frist ausbrechen zu sehn, schob aber seinerseits alles, was den Streit unmittelbar hätte heraufbeschwören können, klug und vorsichtig hinaus und begnügte sich damit, den Privatgelehrten über seinen Namen auszuholen.
»Irr ich, wenn ich annehme, mein hochverehrter Herr ›Aus dem Grunde‹, daß Sie rheinischen oder schweizerischen Ursprungs sind und ähnlich wie die ›Vom Rat‹, ›Aus dem Winkel‹ und ›Auf der Mauer‹ entweder der Kölner Gegend oder aber den Urkantonen entstammen?«
»Doch nicht, mein Herr Oberst. Mein Urgroßvater kam glaubenshalber aus Polen und hieß ursprünglich Genserowsky, noch bis vor kurzem befanden sich in der Berliner Hasenheide Träger dieses alten Namens. Einer der Söhne, mein Großvater, war homo literatus, zugleich Verfasser einer griechischen Grammatik, und um ganz mit den polnischen Erinnerungen zu brechen oder vielleicht auch wegen eines dem deutschen Ohre nicht unbedenklichen Namensanklanges, ließ er den Genserowsky fallen und nannte sich ›Aus dem Grunde‹. Das einigermaßen Anspruchsvolle darin verkenn ich nicht, aber der Name ist mir überkommen, und so kann es mir persönlich nur obliegen, ihm, nach dem bescheidenen Maße meiner Fähigkeiten, Ehre zu machen.«
»Ein Streben, zu dem ich Sie beglückwünsche.«
»Der Herr Oberst beschämen mich durch soviel Güte. Das aber darf ich heute schon aussprechen, daß ich mich jederzeit vor Zersplitterung und einer damit zusammenhängenden Oberflächlichkeit gehütet habe. Zersplitterung ist der Fluch unsrer modernen Bildung. Ich befleißige mich der Konzentration und halte zu dem guten alten Satze ›multum non multa‹. Mein Stolz ist der, ein Spezialissimus zu sein, ein Spott-und zugleich Ehrenname, den mir beizulegen dem Chor meiner Gegner beliebte. Der Herr Oberst wissen, welchem Gegenstande meine Studien gelten, und es sind denn auch eben diese, die mich neuerdings wieder hierher in den Harz und in der letzten Woche nach dem reizenden Gernrode (dessen Besuch ich dem Herrn Obersten empfohlen haben möchte) geführt haben, nach Gernrode, das seinen Namen bekanntlich von einem voraskanischen Markgrafen herleitet, dem Markgrafen Gero.«
»Demselben mutmaßlich, der dreißig Wendenfürsten zu Tische lud, um sie dann zwischen Braten und Dessert abschlachten zu lassen?«
»Von eben demselben, mein Herr Oberst. Aus welchem Zwischenfall ich übrigens bitten möchte nicht allzu nachteilige Schlüsse ziehen zu wollen. Markgraf Gero war ein Kind seiner Zeit, genauso wie Karl der Große, dem die summarisch enthaupteten zehntausend Sachsen nie zum Nachteil angerechnet worden sind. Es sind das eben die Männer, die Geschichte machen, die Männer großen Stils, und wer Historie schreiben oder auch nur verstehen will, hat sich in erster Reihe zweier Dinge zu befleißigen: er muß Personen und Taten aus ihrer Zeit heraus zu begreifen und sich vor Sentimentalitäten zu hüten wissen.«
»Gewiß, gewiß«, lachte der Oberst. »Einverstanden mit allem, wobei mir nur ewig merkwürdig bleibt, daß die durch Natur und Beruf friedliebendsten Leute von der Welt allemal für ›Kopf-ab‹ sind, während alle Leute von Fach an dreißig abgeschlachteten Wendenfürsten doch einigermaßen Anstoß nehmen. Es muß übrigens ein Gesetz in dieser Erscheinung walten, vielleicht dasselbe, nach dem ganz unbemittelte Personen immer erst geneigt sind, ein Dreißig-Millionen-Vermögen als ein Vermögen überhaupt gelten zu lassen.«
Unter diesem Gespräche, das sich weiterspann, hatten unsere drei Freunde den Punkt erreicht, wo der Waldweg wieder in den Hauptweg einbog, auf dem, im selben
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