Charles
ins Schlafzimmer zurück.
Als sie die Schubladen leerte, fand Lanni einen vergilbten braunen Umschlag. Sie setzte sich aufs Bett, um ihn zu öffnen, und förderte ein großformatiges Foto zutage, das ihre Großmutter zeigte und offenbar von einem Fotografen aufgenommen worden war. Zum Zeitpunkt der Aufnahme konnte Catherine nicht viel älter als zwanzig gewesen sein. Ihre Augen strahlten vor Glück, und ihr Lächeln ließ ihre Züge viel weicher erscheinen. In der oberen Ecke standen die Worte: „Für meinen Schatz David“, in der unteren Ecke stand: „Vergiss mich nicht. Für immer dein, Catherine“.
David …
Lanni konnte sich nicht entsinnen, dass der Name David je in ihrer Familie erwähnt worden war. In dem Umschlag steckte noch ein Foto, das ihre Großmutter in einem weißen Hochzeitskleid mit einer Satinschleppe zeigte. Als sie es umdrehte, entdeckte sie den Stempel eines Fotografen in Fairbanks.
Hatte ihre Großmutter etwa zweimal geheiratet? Auf den anderen Hochzeitsfotos hatte sie lediglich das Kostüm getragen und nicht in Weiß geheiratet.
Da in diesem Moment das Telefon klingelte, sprang Lanni vom Bett auf, um den Hörer abzunehmen. „Hallo?“
„Schatz, dein Vater hat gesagt, du hättest angerufen. Ist alles in Ordnung?“
„Ja, bestens.“ Doch das stimmte nicht ganz. Ihr Herz klopfte, als hätte Lanni etwas entdeckt, das sie niemals hätte herausfinden sollen. „Ich habe angerufen, weil ich alles über die Fehde zwischen unserer Familie und den O’Hallorans erfahren wollte.“
„Ja, dein Vater hat es mir erzählt, und ich glaube, ich kann es dir sagen.“ Ihre Mutter zögerte, vermutlich weil sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. „Vor mehr als fünfzig Jahren war deine Großmutter mit David O’Halloran verlobt“, berichtete sie schließlich.
„Sie waren verlobt“, flüsterte Lanni, während sie das Foto betrachtete, das sie noch immer in der Hand hielt.
„Die beiden wollten heiraten, doch dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Als David eingezogen wurde, überredete er meine Mutter zu warten, weil seine Zukunft ungewiss war. Mom hat David jeden Tag geschrieben und auf seine Antwort gewartet. Sie müssen damals sehr verliebt gewesen sein. Mom hat sogar ihr Hochzeitskleid anfertigen und ein Foto machen lassen, das sie ihm geschickt hat.“
Das erklärte also das Foto.
„Dann ist Charles, Davids älterer Bruder, in Frankreich gefallen. Die beiden hatten sich sehr nahe gestanden, und drei Monate lang ließ David überhaupt nichts von sich hören. Sie war außer sich, bis sie schließlich die Nachricht erhielt, dass er nach Hause kommen würde. Allerdings kam er nicht allein. Er brachte eine englische Braut mit – Ellen.“
„O nein!“ Lanni schloss gequält die Augen. Sie konnte gut nachvollziehen, wie ihrer Großmutter damals zumute gewesen sein musste.
„Offenbar war David untröstlich, nachdem er vom Tod seines Bruders erfahren hatte. Er hat versucht, Catherine seine Gefühle zu erklären, aber sie wollte ihm nicht zuhören. Sie wollte nicht hören, dass diese junge, schöne Engländerin ihm über seinen Kummer hinweggeholfen hatte. Ellens Familie war anscheinend im Krieg ums Leben gekommen, und David und sie waren beide sehr einsam. Ich kann verstehen, dass sie sich ineinander verliebt haben.“
„Arme Grammy!“ flüsterte Lanni.
„Weißt du, Lanni, deine Großmutter hat immer nur David geliebt“, fuhr ihre Mutter fort. „Ich weiß nicht, warum sie meinen Vater geheiratet hat. Sie hat ihn nie gewollt. Ihr ganzes Leben lang hat sie sich nach David O’Halloran gesehnt. Als er starb, schien es so, als wollte sie auch nicht mehr weiterleben.“
„Was für eine traurige Geschichte!“ Was ihre Mutter ihr erzählt hatte, erklärte so vieles. Kein Wunder, dass sie und ihre Großmutter sich nie besonders nahe gestanden hatten. Kate hatte gewusst, dass ihre Mutter ihren Vater nie geliebt hatte.
„Es wäre besser gewesen, wenn David im Krieg gefallen wäre und nicht Charles“, bemerkte Kate schroff.
Lannis Herz krampfte sich zusammen. Wenn David gefallen wäre, würde es seine Söhne nicht geben, weder Sawyer noch Christian, noch Charles.
„Natürlich weiß ich nicht, was alles passiert ist, nachdem David mit Ellen zurückgekehrt war“, fuhr Kate in normalem Tonfall fort. „So wie ich meine Mutter kenne, hat sie sich Ellen gegenüber sehr abweisend verhalten. Vermutlich hatten alle Mitgefühl für sie, aber das hat sie sicher ausgenutzt und Ellen das Leben
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