Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
nachgedacht. Es war eben so.
Natürlich kannte ich Tim von klein auf, schließlich waren wir auf derselben Schule und begegneten uns beinahe jedes Wochenende auf irgendeinem Reitturnier, aber es wäre mir niemals auch nur im Traum eingefallen, mit ihm zu reden, denn er war eben der Sohn von Richard Jungblut und somit ein Feind. Er ging in die Zehnte, in Christians Parallelklasse, und konnte zweifellos göttlich reiten. Mit den Verkaufspferden seines Vaters hatte er im letzten Sommer zahlreiche M-Springen und sogar drei S-Springen gewonnen.
Richard Jungblut sprach während der ganzen Fahrt kein Wort. Zweimal begegnete ich seinem forschenden Blick aus stechend blauen Augen im Rückspiegel und guckte sofort woandershin. Ob er wusste, wer ich war? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte er mich wohl mitten auf der Strecke aus dem Auto geworfen. Ich saß wie auf glühenden Kohlen. Noch nie waren mir die zwölf Kilometer nach Steinau so lang vorgekommen, obwohl Tims Vater wie der Teufel durch Königshofen und die Landstraße entlangbrauste.
Melike quatschte fröhlich drauflos, so wie es ihre Art war, aber ich brachte keinen Ton über die Lippen. Was hätte ich auch schon sagen können? Also sprach außer Melike niemand und nach einer Weile fiel auch ihr nichts mehr ein. Ich war heilfroh, als der grüne Jeep an der Bushaltestelle vor dem Rathaus bremste.
»Danke fürs Mitnehmen«, murmelte ich und schlüpfte wie der Blitz hinaus in den Regen.
Herr Jungblut nickte, Tim rief uns noch »Tschüss!« nach, dann knallte die Aulolür zu und der Jeep verschwand mit aufheulendem Motor.
Ich kramte in den Taschen meiner Jacke nach dem Schlüssel für das Schloss, mit dem ich jeden Morgen mein Fahrrad an den Fahrradständer neben der Bushaltestelle ketlete. Melike wohnte nur ein paar Straßen vom Rathaus entfernt, sie konnte zu Fuß nach Hause laufen, aber ich hatte ungefähr zwei Kilometer zu fahren, denn der Amselhof lag außerhalb von Steinau am Waldrand, umgeben von Feldern und Wiesen.
»Also bis später!«, rief ich meiner Freundin zu.
»Ich bin um drei da!«, rief sie zurück.
Leseempfehlung:
Neuhaus, Nele: Elena. Ein Leben für Pferde – Sommer der Entscheidung
Als E-Book ebenfalls im Planet Girl Verlag erschienen:
Nele Neuhaus
Elena. Ein Leben für Pferde – Sommer der Entscheidung
ab 11 Jahren
ISBN 978 3 522 65096 0
Ein Leben ohne Pferde kann sich Elena nicht vorstellen. Wenn sie reitet, vergisst sie alles um sich herum. Eigentlich könnte sie glücklich sein auf dem Pferdehof ihrer Eltern, wäre da nicht die erbitterte Feindschaft zwischen ihrer Familie und der von Tim. Noch immer zwingt ein dunkles Familiengeheimnis die beiden, ihre Beziehung vor den anderen zu verbergen. Und dann werfen schlimme Ereignisse ihre Schatten über die Höfe der Gegend. Als Elenas Pferd Fritzi eines Nachts verschwindet, machen sie und Tim eine gefährliche Entdeckung und es stellt sich die Frage, was stärker ist: ihre Liebe oder der alte Hass?
Der zweite packende Roman um Elena von der Spiegel-Bestsellerautorin Nele Neuhaus.
Für Philipp und Theresa
Prolog
Die alte dunkelbraune Stute hörte auf zu kauen. Sie hob die Nase aus dem Stroh, streckte den Kopf aus dem Stallfenster und spitzte die Ohren. Die Luft war frisch und kalt, doch in ihr lag bereits die Ahnung des kommenden Frühlings. Der Morgen kündigte sich mit einem schmalen hellen Streifen am Horizont im Osten an. Der Himmel war dunkel, aber die Sterne glänzten nur noch blass. Nebel stieg aus den Wiesen auf. In den Bäumen rings um den Stall erwachten die ersten Vögel und stimmten ihr Frühkonzert an.
Die Stute schnaubte und wandte den Kopf. Ihr empfindsames Gehör nahm das sich nähernde Motorengeräusch wahr. Es war keines der Autos, das auf der fernen Bundesstraße fuhr, und auch nicht das vertraute Geräusch des hellen Kombis, mit dem der Bauer jeden Morgen zum Stall gefahren kam, um nach ihr und den anderen Pferden zu schauen.
Die Stute lauschte. In ihrem langen Leben war sie schon oft transportiert worden und dieses Motorengeräusch erinnerte sie an die längst vergangene Zeit, als sie zu Turnieren fahren durfte. Ja, da kam ein Lkw den schmalen Feldweg entlanggekrochen! Das Licht derScheinwerfer blendete sie einen Moment. Die Stute wieherte laut. Ihr Fohlen, das in einer Ecke der großen Box behaglich im weichen Stroh geschlummert hatte, kam schlaftrunken auf die Beine und schüttelte sich. Auch die anderen Stuten in den benachbarten Boxen horchten auf.
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