Charlston Girl
bist so anders«, sage ich unwillkürlich. »Du wirkst nicht mehr so gestresst. Was ist passiert?«
Plötzlich frage ich mich, ob sie vielleicht beim Arzt war. Nimmt sie Valium oder Prozac oder so was? Steht sie etwa unter Drogen?
Sie schweigt, während sie ihre lila Ärmel richtet.
»Es war komisch«, sagt sie schließlich. »Aber dir kann ich es ja erzählen, Lara. Vor ein paar Wochen ist etwas Merkwürdiges passiert.«
»Was?«
»Es war fast so, als hörte ich eine...« Sie zögert, dann flüstert sie:»... eine Stimme in meinem Kopf.«
»Eine Stimme?« Ich erstarre. »Was für eine Stimme denn?«
»Ich bin kein religiöser Mensch. Das weißt du.« Mum sieht sich in der Kirche um und rückt ein Stück näher. »Aber ehrlich, diese Stimme hat mich den ganzen Tag verfolgt! Hier drinnen.« Sie tippt an ihren Kopf. »Sie wollte nicht weggehen. Ich dachte, ich werde verrückt.«
»Was... was hat sie gesagt?«
»Sie sagte: ›Alles wird gut. Mach dir keine Sorgen!‹ Mehr nicht, immer wieder, stundenlang. Irgendwann hat sie mich richtig genervt. Ich habe laut gesagt: ›Okay, Mrs. Innere Stimme, ich hab‘s kapiert!‹ Und da hat sie dann aufgehört, wie von Zauberhand.«
»Wow«, bringe ich heraus, mit einem Frosch im Hals. »Das ist... echt klasse.«
»Und seitdem stelle ich fest, dass mich manches nicht mehr so belastet.« Mum sieht auf ihre Uhr. »Ich sollte lieber mal los. Dad holt den Wagen. Willst du mitfahren?«
»Nein, noch nicht. Wir treffen uns dort.«
Mum nickt verständnisvoll, dann geht sie hinaus. Als der Charleston in ein anderes Zwanziger-Jahre-Stück übergeht, lehne ich mich zurück und blicke zum hübschen Stuck an der Decke auf, noch immer leicht benommen von Mums Geständnis. Ich sehe es förmlich vor mir, wie Sadie ihr nachläuft, ihr in den Ohren liegt und sich nicht abschütteln lässt.
Was Sadie alles war, was sie getrieben hat, was sie bewegt hat. Selbst jetzt noch kommt es mir vor, als wüsste ich nicht mal die Hälfte.
Schließlich geht das Medley zu Ende, und eine Frau im Talar fängt an, die Kerzen auszupusten. Ich raffe mich auf, nehme meine Tasche und erhebe mich. Inzwischen ist die Kirche leer. Alle sind schon auf dem Weg.
Als ich auf den gepflasterten Innenhof hinaustrete, trifft mich ein Sonnenstrahl ins Auge, und ich muss blinzeln. Da stehen noch Leute und lachen und reden, doch niemand ist in meiner Nähe, und ich merke, wie mein Blick zum Himmel schweift. Wie so oft. Immer noch.
»Sadie?«, sage ich leise, schon aus Gewohnheit. »Sadie?« Aber natürlich bekomme ich keine Antwort. Wie immer.
»Gut gemacht!« Plötzlich kommt Ed von irgendwoher und küsst mich auf den Mund, dass ich zusammenzucke. Wo war er? Hinter einer Säule versteckt? »Sensationell. Einfach alles. Es hätte nicht besser laufen können. Ich war so stolz auf dich!«
»Oh, danke.« Vor Freude laufe ich rot an. »Es war gut, nicht? So viele Leute waren da!«
»Unglaublich! Und das ist alles dein Verdienst!« Sanft berührt er meine Wange und sagt noch leiser: »Möchtest du jetzt rüber ins Museum? Ich habe deinen Eltern gesagt, sie sollen schon mal vorfahren.«
»Ja.« Ich lächle. »Danke, dass du gewartet hast. Ich brauchte nur mal einen Moment für mich.«
»Klar.« Auf dem Weg zum schmiedeeisernen Tor an der Straße schiebt er seinen Arm unter meinen und ich drücke ihn. Als wir gestern zur Generalprobe für den Gedenkgottesdienst spazierten, teilte mir Ed beiläufig mit, dass er seinen Aufenthalt in London um ein halbes Jahr verlängert hat, denn wenn er schon mal da ist, kann er ebenso gut seine Autoversicherung aufbrauchen. Dann sah er mich lange an und fragte, wie ich es finde, dass er noch eine Weile bleibt.
Ich habe so getan, als müsste ich erst mal überlegen, um meine Begeisterung zu verbergen, dann sagte ich: Ja, er könne ebenso gut seine Autoversicherung aufbrauchen. Warum nicht?
Da hat er irgendwie gegrinst. Und dann habe ich auch irgendwie gegrinst. Und die ganze Zeit hat er meine Hand ganz fest gehalten.
»Und... mit wem hast du da eben gesprochen?«, fügt er beiläufig hinzu. »Als du aus der Kirche kamst?«
»Was?«, sage ich etwas verwundert. »Mit niemandem. Parkt dein Wagen hier irgendwo in der Nähe?«
»Weil es sich anhörte ...«, beharrt er, »als hättest du ›Sadie‹ gesagt.«
Einen Herzschlag lang herrscht Schweigen, während ich meine Gesichtszüge zu einem angemessen ahnungslosen Ausdruck arrangiere.
»Du dachtest, ich hätte Sadie gesagt?« Ich
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